Source: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Halten sich Versicherer beim Vertrieb von Nettoprodukten an die Regeln zum Schutz der Kundinnen und Kunden? Dieses Thema stand im Mittelpunkt einer Befragung der Finanzaufsicht BaFin von 22 Versicherungsunternehmen zu ihrem Geschäft mit Nettoprodukten. Insgesamt sind die Ergebnisse der Befragung nicht zufriedenstellend.
Befragt hat die BaFin Unternehmen mit Sitz in Deutschland und im europäischen Ausland, die in Deutschland tätig sind. Zwei der befragten Versicherer haben sich auf den Vertrieb von Nettoprodukten (siehe Infokasten) spezialisiert. Die überwiegende Zahl der befragten Unternehmen vertreibt jedoch deutlich weniger Netto- als Bruttoprodukte und/oder bekennt sich ausdrücklich zum provisionsbasierten Vertrieb. Nettoprodukte werden nicht nur durch Versicherungsberater vertrieben, die nach Maßgabe der Gewerbeordnung unternehmensunabhängig arbeiten. Ihr Vertrieb erfolgt in nennenswertem Umfang auch durch Versicherungsvermittler.
Auf einen Blick:Brutto- und Nettoprodukte
Ein Bruttoprodukt im Sinne dieser Abfrage ist ein Produkt, das bei seiner Kalkulation Vermittlungsprovisionen enthält, ohne dass die Kundin oder der Kunde diese gesondert vergütet.
Als Nettoprodukt wurde in der Abfrage ein Produkt definiert, das im Rahmen seiner Kalkulation keine Zuwendungen für Versicherungsvermittlung enthält und bei dem nach der zugrundeliegenden Vertriebsstrategie eine Kostenfreistellungsvereinbarung mit der Kundin bzw. dem Kunden geschlossen oder eine Vergütung der Vermittlung bzw. Beratung zwischen der Kundin bzw. dem Kunden und dem Vertriebspartner vereinbart wird.
Zuwendungen für die Versicherungsvermittlung in diesem Sinne sind Abschlussprovisionen, sonstige Vergütungen und etwaige Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an Vertriebspartner. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Nettoprodukte“ gibt es nicht.
Kundenberatung und -information oft unzureichend
Die an der Abfrage beteiligten Versicherer sehen die Verantwortung für die Beratung über Netto- und Bruttotarife bei den Vermittlerinnen bzw. Vermittlern. Das widerspricht der Gesetzeslage (§ 6 Versicherungsvertragsgesetz – VVG) – jedenfalls für Produkte, die nicht von Versicherungsmaklerinnen und -maklern vermittelt werden. Jeder Versicherer muss sicherstellen, dass die Unterschiede zwischen den Brutto- und Nettopolicen in der Beratung ausreichend berücksichtigt werden.
Als wesentliche Information bei dieser Frage führen die Unternehmen meist nur die unterschiedliche Art der Kostenbelastung zwischen den beiden Produktarten an. Das genügt jedoch nicht. Die Kundin oder der Kunde profitiert bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung bei Bruttoprodukten von einem gesetzlichen Schutz: Bei einer Kündigung des Vertrags in den ersten fünf Jahren ist die Höhe der einkalkulierten Abschlusskosten gesetzlich gedeckelt. Die Kundin oder der Kunde darf bei der Berechnung des Rückkaufswerts nur mit den anteiligen Abschlusskosten für den Zeitraum bis zur Kündigung belastet werden.
Die gesetzliche Regelung des § 169 Absatz 3 VVG gilt für Brutto- und Nettoprodukte zwar gleichermaßen. Sie läuft bei der von der Kundin oder vom Kunden gezahlten Vergütung für die Versicherungsvermittlung bei einem Nettoprodukt jedoch ins Leere. Denn diese Vergütung, die die Kundin oder der Kunde direkt an die Vermittlerin oder den Vermittler zahlt, sind keine Abschlusskosten im Sinne des § 169 Absatz 3 VVG. Die BaFin-Befragung hat gezeigt, dass dieser Umstand bei Beratungsgesprächen regelmäßig nicht erwähnt wird.
Kundennutzen nicht zu beurteilen
Die meisten der beteiligten Versicherer gaben in der Umfrage an, den Vermittlerinnen und Vermittlern ihrer Nettoprodukte keine Empfehlungen oder Vorgaben zur maximalen Vergütungshöhe zu geben. Das ist aus Sicht der BaFin problematisch. Denn wenn die vereinbarte Vergütung nicht angemessen oder dem Versicherer nicht bekannt ist, ist der Kundennutzen des Produkts im Sinne der §§ 23 Absätze 1a bis 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) fraglich bzw. kann von dem Versicherer nicht beurteilt werden.
Dieses Vorgehen ist erst recht nicht nachvollziehbar, wenn ein Unternehmen einzelnen Vertriebswegen Vorgaben macht, anderen aber nicht. Eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung und die voneinander abweichenden Maßstäbe bei der Prüfung des Kundennutzens haben die Unternehmen nicht vorgetragen.
Kick-back-Zahlungen meistens unbekannt
Viele der von der BaFin befragten Unternehmen wissen nicht, ob bzw. in welcher Höhe Vermittlerinnen und Vermittler Rückvergütungen von den Fondsgesellschaften erhalten, mit denen sie bei fondsgebundenen Versicherungsanlageprodukten zusammenarbeiten. Nur vier Unternehmen bestätigten, dass keine Zahlungen fließen.
Versicherungsunternehmen müssen prüfen, ob solche Kick-back-Zahlungen unzulässige Fehlanreize bei der Vermittlung der Versicherungsprodukte setzen. Das hat die BaFin im Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten (Randziffern 38 bis 40) deutlich gemacht. Solche Fehlanreize können dazu führen, dass Vermittlerinnen und Vermittler ihren Kundinnen und Kunden nicht das geeignete Produkt anbieten, sondern das Produkt mit der höchsten Rückvergütung.
Im Kontext der Rückvergütungen ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Versicherungsunternehmen müssen im Produktfreigabeverfahren prüfen, in welchem Umfang Rückvergütungen der Fondsgesellschaften an den Versicherer oder Vertriebspartner den Bedürfnissen des Zielmarktes entsprechen. Auch das hat die BaFin in dem Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten verdeutlicht (Randziffern 31 bis 34 und 38 bis 40).
Versicherer sowie Vermittlerinnen und Vermittler stehen in der Pflicht
Nettoprodukte weisen im Vergleich zu Bruttoprodukten Besonderheiten auf, die Kundinnen bzw. Kunden kennen sollten, um eine fundierte Entscheidung über das für sie richtige Produkt zu treffen. Aus Perspektive der BaFin stehen hier die Vermittlerinnen und Vermittler in der Pflicht, aber auch die Versicherer. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Kundinnen und Kunden stets hinreichend informiert und ihre gesetzlich festgelegten Interessen ausnahmslos beachtet werden. Dazu gehört auch, dass die Versicherer die Kostenbelastung der Versicherten insgesamt in den Blick nehmen. Nur so können sie den Kundennutzen ihrer Produkte umfassend beurteilen.
Die BaFin wird die Ergebnisse der Untersuchung in ihre Aufsichtsarbeit einfließen lassen und den Feststellungen unter anderem bei ihren wohlverhaltensaufsichtlichen Prüfungen nachgehen. In einem Fall wurde der Vertrieb eines Nettoprodukts bereits eingestellt.