„Wir wollen eine zukunftsfähige Versicherungsbranche“

Source: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Sind die deutschen Versicherer gewappnet für die Zukunft?

Als Aufsicht wollen wir eine innovations- und zukunftsfähige Versicherungsbranche. Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren wichtige Themen angepackt. Sie haben Veränderungen vorgenommen, die wirtschaftlich notwendig waren. Sie haben neue Produkte an den Markt gebracht und Einsatzgebiete für innovative Technologien ausgelotet.

Aber: Wir sehen auch jeden Tag, auf welchen Gebieten die Branche noch zulegen muss: unter anderem beim Kapitalanlagerisikomanagement, beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und in Sachen Kundennutzen.

Angemessenes Kapitalanlagerisikomanagement sicherstellen

In der Kapitalanlage stellen vor allem die alternativen Investments wie Private Equity, Private Debt und Immobilien besondere Anforderungen an die Versicherer. Dabei kann gerade Liquidität ein kritischer Faktor sein, vor allem für Unternehmen mit erheblichen stillen Lasten im Anleiheportfolio und einem geringen Neugeschäft. Wer in so einer Situation zusätzlich einen hohen Anteil illiquider Anlagen hält, kann in Schwierigkeiten kommen, wenn im Portfolio umgeschichtet werden muss.

Zukunftsfähige Unternehmen brauchen daher ein angemessenes Kapitalanlagerisikomanagement für alle Asset-Klassen. Sie sollten nur in Anlagen investieren, die sie auch wirklich verstehen. Und sich nicht allein auf die Expertise von Dritten verlassen. Vor allem, wenn sie Anlagen indirekt halten, etwa über Fonds.

Wir bleiben bei diesem Thema am Ball. Denn alternative Investments werden eine relevante Anlageklasse bleiben, auch wenn festverzinsliche Anleihen mittlerweile wieder ein besseres Risiko-Rendite-Profil bieten.

Chancen Künstlicher Intelligenz ergreifen

Zukunftsfähige Versicherer sollten zudem die Möglichkeiten innovativer Technologien ergreifen – und dabei die Risiken im Blick behalten. Das gilt vor allem für die Künstliche Intelligenz. Aktuell nutzen Unternehmen KI vor allem, um effizienter zu werden. Wir möchten die Versicherer ermutigen, die Chancen von KI auch über die reine Prozessoptimierung hinaus zu nutzen. Gleichzeitig müssen die Versicherer beachten, dass innovative Technologien Risiken mit sich bringen. Wer in Unternehmen Verantwortung trägt, muss sich daher fragen: Wie verändert sich die Risikolandschaft, wenn KI eine immer wichtigere Rolle spielt?

Weit oben auf der Agenda von Unternehmen und Aufsicht steht derzeit die europäische KI-Verordnung. Mit Blick auf dieses neue Regelwerk ist einiges immer noch unklar. Zum Beispiel der genaue Umfang von Hochrisiko-Anwendungen. Entscheidend wird daher die konkrete Auslegung sein. Wichtig ist uns vor allem eine pragmatische Definition von KI– und Hochrisiko-KI-Anwendungen. Normale statistische Verfahren sollten nicht als Hochrisiko-KI klassifiziert werden.

Die BaFin wird sehr wahrscheinlich als Marktüberwachungsbehörde für den Finanzsektor zuständig sein. Uns ist sehr daran gelegen, die Einführung der KI-Verordnung für die Branche effizient zu gestalten. Dazu gehört es auch, Widersprüche und Doppelungen zwischen verschiedenen Regelwerken zu verhindern, zum Beispiel zwischen der KI-Verordnung und DORA, der europäischen Verordnung über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor.

Gleichzeitig erwarten wir von den Unternehmen, dass sie die KI-Verordnung vorausschauend umsetzen. Und dass sie konstruktiv und transparent mit uns zusammenarbeiten. Schließlich haben wir alle dasselbe Ziel: dass die Versicherer durch faire und sichere KI-Modelle mehr Nutzen für ihre Kundinnen und Kunden erzielen und ihre Zukunftsfähigkeit sichern.

Angemessenen Kundennutzen schaffen

Wenn wir über Zukunftsfähigkeit sprechen, dann muss es auch um die Frage gehen: Schaffen die Versicherungsprodukte einen angemessenen Nutzen für Kundinnen und Kunden? Eines ist klar: Wer nur seine kurzfristigen Geschäftsinteressen im Blick hat, der handelt nicht zukunftsfähig.

Die Wohlverhaltensaufsicht nimmt weiter an Fahrt auf. Und sie wirkt. Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen gegen laufenden Beitrag gab es eine signifikante Verbesserung bei den Effektivkosten. Teilweise sanken sie um mehr als 40 Basispunkte im Vergleich zum Jahr 2021. Das zeigt eine aktuelle Abfrage der BaFin. Der Rückgang dürfte auch auf unsere Aktivitäten zurückzuführen sein.

Neben der kapitalbildenden Lebensversicherung richten wir unseren Fokus nun auch auf die Schaden- und Unfallversicherung. Auch hier gilt: Jedes neu entwickelte oder wesentlich geänderte Versicherungsprodukt muss einen angemessenen Kundennutzen bieten, also ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen.

Preisdifferenzierung risikoorientiert gestalten

In der Schaden- und Unfallversicherung gilt die Tariffreiheit. Die Unternehmen sollten ihre Prämien risikogerecht nach versicherungsmathematischen Prinzipien kalkulieren. Der Tariffreiheit sind durch die Wohlverhaltensaufsicht aber auch Grenzen gesetzt.

Eine repräsentative Abfrage der BaFin hat gezeigt, dass Schaden- und Unfallversicherer ihre Prämien teilweise in erheblichem Ausmaß differenzieren. Und zwar über die versicherungsmathematische Prämienkalkulation hinaus. Mit einigen Ansätzen von solchen Preisdifferenzierungen werden wir uns im Rahmen der Wohlverhaltensaufsicht näher auseinandersetzen. Zum Beispiel mit dem sogenannten Price-Walking. Also mit wiederholten Prämienerhöhungen, die nicht mit dem versicherten Risiko oder den Kosten des Versicherers zusammenhängen. Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hat zurecht darauf hingewiesen, dass Price-Walking nicht mit den Grundsätzen der Wohlverhaltensaufsicht vereinbar ist.

Grundsätzlich sind risikobasierte und transparente Preisdifferenzierungen mit den Vorgaben der Wohlverhaltensaufsicht vereinbar. Uns geht es darum, Ausreißer zu identifizieren und gegen diese vorzugehen.

Versicherungsprodukte, die angemessen bepreist sind und die einen angemessenen Kundennutzen bieten, sind nicht nur im Interesse der Kundinnen und Kunden. Sie sind auch im Interesse der Unternehmen. Zukunftsfähige Versicherer wissen das und orientieren sich daran.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede, die Julia Wiens am 29. Oktober bei der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht gehalten hat.