Dynamische Hybridprodukte: Dynamik mit Nebenwirkungen

Source: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Kapitalbildende Produkte spielen im Neugeschäft der deutschen Lebensversicherer seit jeher eine große Rolle. Gemessen an der Anzahl der Verträge machten sie in den letzten Jahren rund die Hälfte, gemessen an der Beitragssumme der Verträge sogar rund drei Viertel des Neugeschäfts der deutschen Lebensversicherer aus.

1. Zusammensetzung des Neugeschäfts mit kapitalbildenden Produkten

Innerhalb der kapitalbildenden Produkte haben sich die Anteile der verschiedenen Produktkategorien in den letzten 20 Jahren deutlich verschoben. Zu Beginn des Jahrtausends dominierten noch klassische Lebensversicherungsprodukte mit Zinsgarantie, bei denen das aus den Sparbeiträgen der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer gebildete Deckungskapital mit einem festen Zinssatz verzinst wird und die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer im Rahmen der Überschussbeteiligung an dem Teil der Kapitalerträge des Lebensversicherungsunternehmens partizipieren, der über den vertraglich garantierten Zinssatz hinausgeht.

Bei den klassischen kapitalbildenden Lebensversicherungen haben in den letzten zehn Jahren zunehmend Produkte der so genannten neuen Klassik an Bedeutung gewonnen, bei denen die volle Zinsgarantie stärker endfällig ausgerichtet ist und nicht mehr für jedes einzelne Versicherungsjahr ausgesprochen wird.

Eine weitere Grundform kapitalbildender Lebensversicherungsprodukte sind fondsgebundene Produkte, bei denen die Leistung direkt an die Wertentwicklung einer bestimmten Kapitalanlage, z. B. eines Investmentfonds, gebunden ist. Bei der reinen fondsgebundenen Lebensversicherung trägt die Versicherungsnehmerin bzw. der Versicherungsnehmer das gesamte Wertentwicklungsrisiko. Dies bedeutet ein erhöhtes Verlustrisiko für die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer. Dem stehen aber auch höhere Chancen aus stärker renditeorientierten Kapitalanlagen wie Aktienfonds gegenüber.

Reine fondsgebundene Lebensversicherungen spielen im Neugeschäft der deutschen Lebensversicherer bis etwa 2020 allerdings nur eine sehr untergeordnete Rolle. Vielmehr ist in den Jahren zuvor der Neugeschäftsanteil von Mischformen aus klassischen und fondsgebundenen Produkten, so genannten Hybridprodukten, stark angestiegen. Die Hybridprodukte lassen sich wiederum in zwei wesentliche Grundformen – so genannte statische und dynamische Hybridprodukte – unterteilen:

Hybridprodukte im Bereich der Lebensversicherungen

Bei statischen Hybridprodukten werden die Sparanteile der Beiträge im Wesentlichen fest auf einen klassischen und einen fondsgebundenen Vertragsteil aufgeteilt. Eine Zinsgarantie wird in diesem Fall nur für den klassischen Vertragsteil gewährt. Der Abschluss eines Vertrages in einem statischen Hybridprodukt wirkt sich im Wesentlichen so aus, als würde die Versicherungsnehmerin bzw. der Versicherungsnehmer zwei getrennte Verträge – eine klassische und eine fondsgebundene Lebensversicherung – abschließen.

Auch bei dynamischen Hybridprodukten setzt sich das Vertragsguthaben der Versicherungsnehmerin bzw. des Versicherungsnehmers aus einem klassischen Deckungskapital und einem Fondsguthaben zusammen. Die Garantie des Lebensversicherers bezieht sich bei diesen Produkten jedoch auf das gesamte Vertragsguthaben einschließlich des Fondsguthabens. Um diese Garantie sicherzustellen, wird das Fondsguthaben bei einer ungünstigen Wertentwicklung so rechtzeitig teilweise in das klassische Deckungskapital umgeschichtet, dass die Garantie mit Hilfe des Rechnungszinses auf das klassische Deckungskapital noch erreicht werden kann.

Eine positive Entwicklung des Fondsguthabens und die Überschussbeteiligung des klassischen Vertragsteils erlauben es hingegen, Teile des klassischen Deckungskapitals in das Fondsguthaben umzuschichten, so dass die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer stärker an den Ertragschancen der fondsgebundenen Kapitalanlage partizipieren können.

Abbildung 1 zeigt, wie sich das Neugeschäft mit kapitalbildenden Produkten im Jahr 2024, gemessen an der Anzahl neuer Verträge, auf die verschiedenen oben dargestellten Unterkategorien verteilt hat. Es ist zu erkennen, dass dynamische Hybridprodukte mit über 20 Prozent einen erheblichen Anteil am Neugeschäft ausmachen.

Abbildung 1: Anteil am Neugeschäft kapitalbildender Produkte 2024

© Daten aus Solvency II Reporting Template S.14.01.

Weitere Merkmale dynamischer Hybridprodukte

Die konkrete Ausgestaltung dynamischer Hybridprodukte ist unterschiedlich. Weit verbreitet sind sogenannte 3-Topf-Hybride, bei denen die fondsgebundene Komponente wiederum aus zwei Teilkomponenten besteht, einem Wertsicherungsfonds und einem sogenannten freien Fonds. Ein Wertsicherungsfonds garantiert, dass er in einem bestimmten Zeitraum (z. B. einem Monat) maximal einen bestimmten Verlust (z. B. 20 Prozent) erleiden darf. Beim freien Fonds kann die Versicherungsnehmerin bzw. der Versicherungsnehmer in der Regel zwischen einer größeren Anzahl von Anlagemöglichkeiten wählen, bei denen in der Regel keine Verlustbegrenzung besteht. Für den freien Fonds kommen daher insbesondere renditeorientierte Anlageformen wie z. B. Aktienfonds in Frage.

Bei 3-Topf-Hybriden wird das Vertragsguthaben der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer in Abhängigkeit von der Kursentwicklung der beiden fondsgebundenen Komponenten und der Überschussbeteiligung des klassischen Vertragsteils auf Basis regelbasierter Umschichtungsalgorithmen kontinuierlich zwischen den drei „Töpfen“ klassisches Deckungskapital, Wertsicherungsfonds und freie Fonds umgeschichtet. Der Umschichtungsrhythmus ist in der Regel monatlich. Das Vertragsguthaben wird dabei durch die Umschichtungsalgorithmen zu Beginn eines Monats so auf die drei Töpfe verteilt, dass selbst bei Eintritt des maximal möglichen Verlustes des Wertsicherungsfonds und bei einem Totalverlust des freien Fonds die Garantie am Ende des Monats durch eine vollständige Umschichtung in das klassische Deckungskapital noch gewährleistet wäre.

Als weitere Variante gibt es 2-Topf-Hybride, bei denen auf den Einsatz von Wertsicherungsfonds verzichtet wird. Für die Umschichtungsalgorithmen arbeiten die Anbieter dann in der Regel mit Annahmen über den maximal möglichen Verlust der fondsgebundenen Anlagekomponente bis zum nächsten Umschichtungstermin. Dabei besteht für den Anbieter jedoch das Risiko, dass die fondsgebundene Anlagekomponente einen höheren Verlust als den angenommenen Maximalverlust erleidet und damit das Vertragsguthaben der Versicherungsnehmerin bzw. des Versicherungsnehmers am Ende der Vertragslaufzeit unter dem garantierten Betrag liegt. In diesem Fall müsste der Lebensversicherer den Fehlbetrag aus eigenen Mitteln ausgleichen. Um dieses Risiko zu minimieren, erfolgen die Umschichtungen bei einem 2-Topf-Hybrid meist deutlich häufiger (z. B. täglich).

Neben der Absicherung der Garantie spielen bei der Ausgestaltung der Umschichtungsalgorithmen in der Regel noch weitere Aspekte eine Rolle. So ist es z. B. denkbar, dass das Vertragsguthaben im Rahmen eines Life-Cyclings in den späteren Vertragsjahren zunehmend in die stärker sicherheitsorientierte klassische Komponente umgeschichtet wird, auch wenn dies zur Absicherung der zu Vertragsbeginn ausgesprochenen Garantie nicht erforderlich wäre.

2. Spezifische Verbraucherrisiken dynamischer Hybridprodukte

Dynamische Hybridprodukte weisen im Vergleich zu anderen kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten insbesondere die beiden nachfolgend dargestellten spezifischen Verbraucherrisiken auf:

Risiken für die übrigen Verträge:

Umschichtungen dynamischer Hybridprodukte wirken sich auch auf die allgemeine nicht fondsgebundene Kapitalanlage eines Lebensversicherers aus, an deren Erträgen im Rahmen der Überschussbeteiligung nicht nur die klassischen Komponenten dynamischer Hybridprodukte selbst, sondern auch alle anderen klassischen Produkte partizipieren.
Die Umschichtungsalgorithmen dynamischer Hybridprodukte können dazu führen, dass in der nicht fondsgebundenen Kapitalanlage kurzfristig zusätzliche Mittel neu angelegt werden müssen (Umschichtung von Fondsguthaben in klassisches Deckungskapital) oder dass zusätzliche Liquidität in der nicht fondsgebundenen Kapitalanlage benötigt wird (Umschichtung von klassischen Deckungskapital in Fondsguthaben). Die Ausgestaltung der Umschichtungsalgorithmen dynamischer Hybridprodukte kann daher Auswirkungen auf die Anlagerisiken und insbesondere auf die Liquidität und Allokation der nicht fondsgebundenen Kapitalanlagen haben. Dies kann nachteilig für die Überschussbeteiligung der übrigen klassischen Lebensversicherungsverträge sein, beispielsweise wenn ein Lebensversicherer zur Minderung der Liquiditätsrisiken aus den Umschichtungsalgorithmen verstärkt auf kurzfristige und liquide Kapitalanlagen mit geringerem Renditepotenzial setzt oder Umschichtungsvolumina aus dynamischen Hybriden zusätzliche Transaktionskosten verursachen.

Cash-Lock-Risiko:

Auch für die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer dynamischer Hybridprodukte selbst bestehen spezifische Risiken: Ungünstige Kapitalmarktentwicklungen können eine massive Umschichtung in das klassische Deckungskapital auslösen. Bei einer anschließenden Erholung der Kapitalmärkte können die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer dann weitgehend in der sicherheitsorientierten, nicht fondsgebundenen Kapitalanlage des Lebensversicherers „gefangen“ sein. Sie würden dann nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt an einer Erholung der Kapitalmärkte partizipieren.

3. Umfrage der BaFin

Die Versicherungsaufsicht der BaFin hat zehn Lebensversicherer mit einem hohen Neugeschäftsanteil dynamischer Hybridprodukte zu ihrem Umgang mit den spezifischen Verbraucherrisiken dieser Produkte befragt.
Insbesondere sollten diese Lebensversicherer dazu Stellung nehmen, welche Analysen dieser Risiken sie bereits in der Produktentwicklung durchgeführt haben und welche Maßnahmen zur Risikominderung sie in der Vergangenheit bereits umgesetzt haben oder für die Zukunft planen.

3.1 Risiken für den Restbestand: Analysen der Lebensversicherer

Die Auswertung der Umfrage hat gezeigt, dass sich alle Lebensversicherer mit den Auswirkungen dynamischer Hybridprodukte auf die nicht fondsgebundene Kapitalanlage beschäftigen. Allerdings gibt es Lücken: So gaben nur vier von zehn Lebensversicherern an, bei der Produktentwicklung auch die Transaktionskosten, die durch Umschichtungen entstehen, näher analysiert zu haben.

Verbesserungsbedarf besteht offenbar auch bei der vorausschauenden Analyse, wie sich Umschichtungen aus dynamischen Hybridprodukten zukünftig auf die übrigen Verträge auswirken können, wenn sich der Bestand an dynamischen Hybridprodukten entsprechend der aktuellen Neugeschäftspolitik langfristig weiterentwickelt.

Zwar berücksichtigen alle befragten Lebensversicherer die Umschichtungen dynamischer Hybridprodukte in ihrer kurzfristigen Liquiditätsplanung. Aufgrund der Langfristigkeit der Verträge bauen sich die Bestände jedoch nur allmählich auf. Der Anteil dynamischer Hybridprodukte an den Vertragsguthaben ist daher derzeit meist noch gering. Bei der kurzfristigen Liquiditätssteuerung können daher oft noch keine materiellen Auswirkungen beobachtet werden.

Im Neugeschäft hingegen haben dynamische Hybridprodukte, gemessen an der vertraglichen Beitragssumme inzwischen in Einzelfällen einen Anteil von über 50 Prozent. Bei unveränderter Neugeschäftspolitik ist absehbar, dass auch der Bestandsanteil langfristig eine ähnliche Größenordnung erreichen wird. Selbst bei einer vollständigen Einstellung des Neugeschäfts mit dynamischen Hybridprodukten würde deren Anteil an den Vertragsguthaben aufgrund der laufenden Beitragszahlungen aus bestehenden Verträgen auf absehbare Zeit weiter ansteigen.

Es ist daher wichtig, dass sich die Lebensversicherer frühzeitig ein Bild davon machen, wie sich der Bestandsanteil dynamischer Hybridprodukte auf Basis ihrer aktuellen Neugeschäftspolitik langfristig entwickeln wird. Dabei kommt es insbesondere darauf an, wann der Bestandsanteil der dynamischen Hybridprodukte voraussichtlich kritische Schwellenwerte erreichen wird, deren Überschreitung weitere Maßnahmen erforderlich macht, um materielle negative Auswirkungen auf den übrigen Bestand zu vermeiden. Die Analysen der Lebensversicherer sollten dabei so weit in die Zukunft reichen, dass notwendige Maßnahmen im Neugeschäft trotz der Trägheit der Bestände noch rechtzeitig ergriffen werden können. Die Antworten der Teilnehmer an der BaFin-Umfrage deuten darauf hin, dass solche langfristig ausgerichteten Analysen von den Lebensversicherern weitgehend noch nicht durchgeführt werden.

Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken für die verbleibenden Verträge

Alle Teilnehmer an der Umfrage haben angegeben, dass sie bereits in der Vergangenheit Maßnahmen bei der Produktentwicklung ergriffen haben, um die Risiken aus dynamischen Hybridprodukten für die übrigen Verträge zu begrenzen. Dabei wurde vor allem auf Maßnahmen bei der Gestaltung der Umschichtungsalgorithmen verwiesen. So können z. B. Umschichtungsvolumina begrenzt werden, wenn dauerhaft ein größerer Anteil des Vertragsguthabens im klassischen Deckungskapital gehalten wird, als zur Sicherstellung der garantierten Leistung zwingend erforderlich wäre, oder Rückumschichtungen in das Fondsguthaben eingeschränkt oder verzögert werden.

Als weitere Maßnahmen zur Reduzierung von Umschichtungsrisiken nannten die Unternehmen eine vorsichtige Festlegung der Garantiehöhe und die Auswahl geeigneter, insbesondere schwankungsarmer Fonds für die fondsgebundene Komponente.
Mehrere Unternehmen wiesen zudem darauf hin, dass sie die Versicherungsbedingungen so offen gestaltet haben, dass sie zukünftig Änderungen an den Umschichtungsalgorithmen auch mit Wirkung für Bestandsverträge vornehmen können. Auf diese Weise könnten bei weiterem Bestandswachstum der dynamischen Hybridprodukte die Risiken für die übrigen Verträge begrenzt werden. Mögliche Einschränkungen ergeben sich hier jedoch aus den Regelungen zum Produktfreigabeverfahren. Zudem sind die zivilrechtlichen Anforderungen an die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beachten (siehe insbesondere Abschnitt 4.4).
Einzelne Lebensversicherer haben darüber hinaus auf die Möglichkeit hingewiesen, die Risiken aus den Umschichtungsalgorithmen dynamischer Hybridprodukte durch entsprechende Rückversicherungsverträge abzufedern.

Beobachtung und Quantifizierung negativer Auswirkungen auf die übrigen Verträge

In ihrem Rundschreiben 05/2025 (VA) zum Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht (Prudent Person Principle – PPP) von Versicherungsunternehmen unter Solvabilität II hat die BaFin in Tz. 62 die Anforderung formuliert, dass Lebensversicherer mögliche negative Auswirkungen dynamischer Hybridprodukte auf die übrigen Verträge beobachten und quantifizieren müssen. Materielle Nachteile für die Überschussbeteiligung der übrigen Verträge sind nach dem Rundschreiben im Zweifel aus Mitteln des Unternehmens auszugleichen.

Die Teilnehmer der BaFin-Umfrage wurden gefragt, mit welchen konkreten Prozessen und Methoden sie diese Anforderungen, die die BaFin bereits im Jahr 2020 in einer Auslegungsentscheidung veröffentlicht hatte, umgesetzt haben. Die Antworten der meisten Teilnehmer lassen nicht erkennen, dass sie bereits entsprechende Prozesse und Methoden implementiert haben.

Solange der Bestandsanteil dynamischer Hybridprodukte noch gering ist, können ggf. stark vereinfachte Methoden oder grobe Näherungsverfahren angemessen sein. Insbesondere Unternehmen mit stark wachsenden Beständen an dynamischen Hybridprodukten sollten dann jedoch bereits heute Wesentlichkeitsschwellen für den Bestandsanteil dynamischer Hybridprodukte definieren, ab deren Überschreitung die Anwendung verfeinerter Methoden erforderlich wird. Sofern ein Überschreiten einer solchen Wesentlichkeitsgrenze in den kommenden Jahren absehbar ist, sollte die Entwicklung entsprechender Methoden rechtzeitig angestoßen werden.

Sofern dynamische Hybridprodukte jedoch einen signifikanten Anteil am Neugeschäft eines Lebensversicherers ausmachen, erscheint die Festlegung dezidierter Prozesse und Methoden zur Umsetzung der beschriebenen Anforderungen grundsätzlich erforderlich.

3.2 Cash-Lock-Risiko Analysen der Lebensversicherer

Nahezu alle Umfrageteilnehmer haben das Cash-Lock-Risiko mit Hilfe von deterministischen und stochastischen Projektionsrechnungen für typische Vertragsbeispiele untersucht. Weit verbreitet sind auch Backtestings, bei denen die hypothetische Wirkungsweise der Umschichtungsalgorithmen in vergangenen Krisensituationen (z. B. Platzen der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends oder Finanzkrise 2008) untersucht wird. Untersuchungsgegenstand ist dabei typischerweise die Renditeverteilung der Verträge und die Aufteilung des Vertragsguthabens auf klassisches Deckungskapital und fondsgebundene Komponenten. Mit Hilfe von deterministischen Projektionen werden insbesondere auch gezielt solche Szenarien untersucht, die für einen Cash-Lock anfällig sein könnten.

Maßnahmen zur Begrenzung des Cash-Lock-Risikos

Ähnlich wie bei den Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken für die übrigen Verträge wurden von den Teilnehmern vor allem Maßnahmen bei den Umschichtungsalgorithmen, bei der Fondsauswahl und bei der Festlegung der Garantien genannt.

Die Umschichtungsalgorithmen sind regelmäßig so ausgestaltet, dass Überschussanteile auf das klassische Deckungskapital nicht zur Deckung der Garantien benötigt werden und somit auch nach einer vollständigen Umschichtung in das klassische Deckungskapital in der Folgezeit wieder Umschichtungen in das Fondsguthaben möglich sind. Je vorsichtiger der Rechnungszins für das klassische Deckungskapital festgelegt wird, desto stärker ist dieser Effekt.

Darüber hinaus haben einige Lebensversicherer ihre Umschichtungsalgorithmen so gestaltet, dass selbst bei einer vollständigen Umschichtung in das klassische Deckungskapital aus den zukünftigen laufenden Beiträgen noch Puffer zur Verfügung stehen, die eine Wiederanlage in das Fondsguthaben ermöglichen. Diese Puffer sind potenziell umso größer, je niedriger die Garantien des dynamischen Hybridprodukts sind. Vor diesem Hintergrund wurde von einigen Umfrageteilnehmern auch die Absenkung der Beitragserhaltungsgarantien als Maßnahme zur Begrenzung des Cash-Lock-Risikos genannt.

Beobachtung des Cash-Lock-Risikos

Weit verbreitet unter den Teilnehmern der Umfrage sind regelmäßige (z. B. monatliche) Analysen der Topfaufteilung der Vertragsguthaben, z. B. auf Ebene einzelner Tarife oder Rechnungszinsgenerationen, sowie anlassbezogene Analysen, beispielsweise nach starken Kursrückgängen an den Aktienmärkten oder anderen Kapitalmarktereignissen, die das Cash-Lock-Risiko auslösen können.

Gravierende Cash-Lock-Situationen wurden von den Umfrageteilnehmern bisher nicht beobachtet. Sie haben jedoch konkrete Vertragskonstellationen benannt, die aus ihrer Sicht verstärkt für das Cash-Lock-Risiko anfällig sind oder in denen sich das Cash-Lock-Risiko vereinzelt bereits realisiert hat. Als besonders anfällige Vertragskonstellationen wurden mehrfach Verträge mit hohen Garantien (z. B. 100 Prozent Beitragserhaltungsgarantie) und beitragsfreie Verträge genannt. Zumindest im Neugeschäft kann dieses Risiko durch eine entsprechende Produktgestaltung vermieden bzw. begrenzt werden.

Sofern ein Cash-Lock bereits eingetreten ist, kann eine Abhilfemaßnahme darin bestehen, den betroffenen Versicherungsnehmern eine Garantieabsenkung anzubieten, die es ermöglicht, wieder einen größeren Teil des Vertragsguthabens in die fondsgebundenen Vertragsbestandteile zu investieren. Denkbar wäre, den Versicherungsnehmern bereits in den Vertragsbedingungen das Recht auf optionale Garantieabsenkungen einzuräumen oder im Falle eines eingetretenen Cash-Locks aus Kulanz die Absenkung bestehender Garantien anzubieten. Beide Varianten wurden in der Praxis bereits beobachtet.

Mehrere Lebensversicherer haben jedoch darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit zur Garantieabsenkung mit dem Risiko negativer Auswirkungen auf die übrigen Versicherungsnehmerinnen und -nehmer verbunden sein kann, wenn beispielsweise nach einem Zinsanstieg in einem Umfeld hoher stiller Lasten viele Versicherungsnehmerinnen und -nehmer von der Option zur Garantieabsenkung Gebrauch machen und in der Folge Kapitalanlagen mit stillen Lasten veräußert werden müssen, um die Vertragsguthaben der betroffenen Kunden nach einer Garantieabsenkung teilweise in die Fondskomponente umzuschichten. Die möglichen Vor- und Nachteile von Optionen zur Garantieabsenkung sind daher sorgfältig abzuwägen.

3.3 Erkenntnisse aus den erhobenen quantitativen Daten

Die BaFin hat bei der Umfrage auch quantitative Daten zur zeitlichen Entwicklung der Vertragsguthaben des Bestands an dynamischen Hybridprodukten und zu deren Zusammensetzung abgefragt.
Insbesondere sollten die Teilnehmer der Umfrage Angaben zum monatlichen Verlauf der „Topfaufteilung“ der Vertragsguthaben dynamischer Hybridprodukte auf klassisches Deckungskapital, Wertsicherungsfonds und freie Fonds in den Jahren 2020 und 2022 machen. Das Jahr 2020 wurde gewählt, da es damals im Zusammenhang mit der Corona-Krise im Frühjahr zunächst zu starken Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten kam, denen im weiteren Jahresverlauf jedoch eine deutliche Kurserholung folgte. Diese Konstellation ist potenziell anfällig für hohe Umschichtungsvolumina in dynamische Hybridprodukte und Cash-Lock-Effekte. Die Daten für das Jahr 2022 wurden zu Vergleichszwecken erhoben.

Deutliche Unterschiede im Chancen-Risiko-Profil

Die erhobenen Daten zeigen zunächst, dass sich die Zusammensetzung der Vertragsguthaben nach den einzelnen „Töpfen“ (klassisches Deckungskapital, Wertsicherungsfonds, freie Fonds) in den Beständen der Umfrageteilnehmer erheblich unterscheidet:

  • Ende Januar 2020 lag der Anteil des klassischen Deckungskapitals an den gesamten Vertragsguthaben je nach Unternehmen in einer großen Bandbreite zwischen rund 20 Prozent und 66 Prozent.
  • Der Anteil des Wertsicherungsfonds lag in der Spitze bei ca. 80 Prozent. Einzelne Teilnehmer hatten dagegen nur 2-Topf-Hybride im Bestand, die gänzlich ohne Wertsicherungsfonds auskamen.
  • Der Anteil der freien Fonds an den Vertragsguthaben variierte bei den Teilnehmern der Umfrage Ende Januar 2020 zwischen knapp über null Prozent und rund 50 Prozent.
  • Diese große Bandbreite bedeutet, dass sich das Chancen-Risiko-Profil je nach Ausgestaltung der Produkte und insbesondere der Umschichtungsalgorithmen deutlich unterscheidet.

Der Median für die Anteile des klassischen Deckungskapitals und der Wertsicherungsfonds liegt bei jeweils knapp über 40 Prozent und für die freien Fonds bei rund 15 Prozent. Dies bedeutet insbesondere, dass die Wertsicherungsfonds in der Regel ein deutlich höheres Gewicht haben als die freien Fonds. Dieser Umstand sollte sich dann auch im Produktfreigabeverfahren, in der Kundeninformation und in der Kundenberatung adäquat widerspiegeln. Insbesondere sollte bei Kundinnen und Kunden nicht der falsche Eindruck entstehen, dass ein von ihm gewählter freier Fonds das Chancen-Risiko-Profil seines Vertrages dominiert, wenn tatsächlich zu erwarten ist, dass der freie Fonds über die Laufzeit des Vertrages nur einen geringen Bruchteil des Vertragsguthabens ausmacht.

Haben die Wertsicherungsfonds einen sehr hohen Anteil am Vertragsguthaben, kommt dem Auswahlprozess der Wertsicherungsfonds und der Überwachung der Wertsicherungsfonds durch die Lebensversicherer zudem eine entsprechend hohe Bedeutung zu.

Teilweise hohe Umschichtungen

Die Daten zur zeitlichen Entwicklung zeigen außerdem, dass die Turbulenzen an den Kapitalmärkten im Jahr 2020 teilweise zu erheblichen Umschichtungen bei den dynamischen Hybridprodukten geführt haben. Das Ausmaß variiert jedoch deutlich zwischen den Unternehmen. Bei einzelnen Umfrageteilnehmern stieg der Anteil der klassischen Deckungsrückstellung an den gesamten Vertragsguthaben von Ende Januar 2020 bis zum Höchststand Ende März bzw. Ende April 2020 um mehr als 20 Prozentpunkte. Bei anderen Umfrageteilnehmern betrug der Anstieg weniger als 10 Prozentpunkte.

Die Kurserholung von Ende März 2020 bis Ende 2020 führte spiegelbildlich zu einem Rückgang des Anteils des klassischen Deckungskapitals an den Vertragsguthaben, der jedoch deutlich geringer ausfiel als die Umschichtungen zugunsten des klassischen Deckungskapitals in den ersten Monaten des Jahres. Auch dies deutet auf mögliche Cash-Lock-Effekte hin. Allerdings verlief auch hier die Entwicklung unternehmensindividuell sehr unterschiedlich. Bei einzelnen Unternehmen hat sich der Anteil des klassischen Deckungskapitals an den Vertragsguthaben vom Höchststand im Frühjahr 2020 bis zum Jahresende um rund 15 Prozentpunkte verringert. Für die absolute Höhe des klassischen Deckungskapitals im Bestand dynamischer Hybridprodukte ist bei einzelnen Teilnehmern in einzelnen Monaten ein Rückgang in der Größenordnung von etwa zehn Prozent zu beobachten.

Bei einem hohen Anteil dynamischer Hybridprodukte an dem gesamten klassischen Deckungskapital eines Lebensversicherers zeigen diese Zahlen, dass Turbulenzen an den Kapitalmärkten kurzfristig zu einem erheblichen Wiederanlage- bzw. Liquiditätsbedarf in der nicht fondsgebundenen Kapitalanlage durch Umschichtungen aus dynamischen Hybridprodukten führen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in der Vergangenheit – etwa im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008 oder dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends – zum Teil noch deutlich größere Kursschwankungen an den Aktienmärkten gegeben hat als im Jahr 2020 anlässlich der Corona-Krise. Die im Rahmen der Untersuchung beobachteten, teilweise erheblichen Umschichtungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise stellen somit keineswegs ein Worst-Case-Szenario dar.

3.4 Wechselwirkungen mit dem Produktfreigabeverfahren

Die Umfrageteilnehmer sollten auch angeben, inwieweit sie in der Vergangenheit das Cash-Lock-Risiko dynamischer Hybridprodukte auch im Rahmen des Produktfreigabeverfahrens analysiert haben. Aus den Antworten der Lebensversicherer geht jedoch nicht hervor, dass sie ihre Analysen der spezifischen Verbraucherrisiken aus den Umschichtungsalgorithmen dynamischer Hybridprodukte bereits mit dem Produktfreigabeverfahren verknüpft haben.

Wie in Abschnitt 4.3 dargestellt, hat die konkrete Ausgestaltung der Umschichtungsalgorithmen jedoch erhebliche Auswirkungen auf das Chancen-Risiko-Profil der Produkte und damit darauf, inwieweit die Produkte den Bedürfnissen, Eigenschaften und Zielen des Zielmarktes entsprechen. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dass die Wirkungsweise der Umschichtungsalgorithmen im Produktfreigabeverfahren bei der Zielmarktdefinition und bei der Produktprüfung angemessen berücksichtigt wird.

Wenn z. B. die Angehörigen des definierten Zielmarktes die Erwartung haben, unter Berücksichtigung der gegebenen Produktgarantie in möglichst hohem Maße an den Ertragschancen der Aktienmärkte zu partizipieren, kann ein dynamisches Hybridprodukt für sie ungeeignet sein, wenn der Umschichtungsalgorithmus so ausgestaltet ist, dass Aktienanlagen absehbar nur einen geringen Anteil am gesamten Vertragsguthaben ausmachen werden. Die Auswirkungen von Umschichtungsalgorithmen sind auch bei der Prüfung, ob das formulierte Renditeziel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht wird, zu berücksichtigen (vgl. Merkblatt 01/2023, Tz. 15).

Soweit dynamische Hybridprodukte Auswirkungen auf andere Verträge haben, sind auch die in den Produktfreigabeverfahren für andere Produkte definierten Zielmärkte betroffen. Im Produktfreigabeverfahren für dynamische Hybridprodukte sind daher neben dem Cash-Lock-Risiko auch mögliche nachteilige Auswirkungen auf die übrigen Verträge zu prüfen. (Vgl. auch Art. 4 Absatz 3 lit. b) DV 2017/2358, wonach das Produktfreigabeverfahren einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten unterstützen soll.)

Bei der Produktprüfung ist auch sicherzustellen, dass die Produkte während ihrer gesamten Laufzeit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des Zielmarktes entsprechen. Sofern Lebensversicherer beabsichtigen, Umschichtungsalgorithmen ggf. mit Wirkung für den Bestand zu ändern, ist dies zu berücksichtigen. Selbst wenn die Vertragsbedingungen Änderungen der Umschichtungsalgorithmen grundsätzlich zulassen, können sich die Lebensversicherer daher nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass bei zunehmend wachsenden Beständen dynamischer Hybridprodukte die daraus resultierenden Risiken für den Restbestand allein durch bestandswirksame Änderungen der Umschichtungsalgorithmen begrenzt werden können.

Umso wichtiger ist es, bereits beim Produktgenehmigungsprozess vorausschauende Analysen zu den spezifischen Verbraucherrisiken dynamischer Hybridprodukte durchzuführen, die hinreichend weit in die Zukunft reichen. Darüber hinaus sind die Lebensversicherer gehalten, bei der Verwendung entsprechender Vertragsbedingungen die zum Schutz der Interessen ihrer Kundinnen und Kunden bestehenden AGB-Vorschriften zu beachten und Rechtsunsicherheiten bei der Gestaltung der Vertragsbedingungen im Interesse ihrer Kundinnen und Kunden, aber auch im eigenen Interesse, möglichst zu vermeiden.

4. Weiteres Vorgehen der BaFin

Die BaFin wird insbesondere bei Lebensversicherern mit einem hohen Neugeschäftsanteil an dynamischen Hybridprodukten zukünftig bei ihren Prüfungen auf der Grundlage des Merkblatts 01/2023 zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungen auch die besonderen Verbraucherrisiken dieser Produkte in den Blick nehmen und dabei speziell solche Aspekte berücksichtigen, bei denen die BaFin-Umfrage Hinweise auf Schwachstellen ergeben hat.