Source: Deutsche Nachrichten
Der Versandhandel setzt zum nächsten Sprung an – und trifft nun das Herzstück der Apothekenökonomie: Mit einer Verdopplung der Rx-Umsätze im ersten Quartal 2025 und einem möglichen Marktanteil von über 1,5 % gehen Shop Apotheke und DocMorris in die wirtschaftliche Offensive. Was für die Vor-Ort-Apotheken dramatisch klingt, markiert in Wirklichkeit eine logische Konsequenz digitaler Marktveränderung – und das Ende eines jahrzehntelangen De-facto-Monopols. Doch statt auf Verbotsforderungen oder rückwärtsgewandte Besitzstandsrhetorik zu setzen, lohnt sich ein Blick auf die politischen Realitäten: Die Bundesregierung verfolgt eine duale Versorgungsstrategie, bei der Versand und Vor-Ort-Apotheke koexistieren – vorausgesetzt, die regulatorischen Spieße sind gleich lang. Gelassenheit statt Alarmismus lautet daher die Devise. Denn auch für die Versender gilt: Boni-Werbung ist teuer, Investorenkapital ist endlich, und wer gegen betriebswirtschaftliche Logik arbeitet, verliert auf lange Sicht an Substanz.
Was lange ausgeschlossen schien, nimmt Gestalt an: Der Versandhandel greift jetzt auch im Kernbereich der Apothekenversorgung an – bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Laut neuesten Marktdaten haben Shop Apotheke und DocMorris ihre Rx-Umsätze im ersten Quartal 2025 auf rund 216 Millionen Euro gesteigert – ein Plus, das fast einer Verdopplung gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Hochgerechnet aufs Jahr rückt damit erstmals ein Marktanteil von über 1,5 Prozent für ausländische Versender in den Bereich des Wahrscheinlichen. Was auf den ersten Blick wie eine Zahlenspielerei wirkt, trifft die öffentliche Apotheke im Innersten: Denn der Löwenanteil ihres wirtschaftlichen Rückgrats – rund 70 Prozent des Rohertrags – hängt an der Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel. Was die Honorardiskussion betrifft, geht es also nicht um abstrakte Grundsatzfragen, sondern um das Überleben des Alltagsgeschäfts.
Dennoch wirkt das Echo aus Teilen der Apothekerschaft wie aus der Zeit gefallen. Als ob man nach dem Aufstieg des Onlinehandels ernsthaft noch geglaubt hätte, dass ausgerechnet der verschreibungspflichtige Bereich davon unberührt bliebe. Oder schlimmer noch: Als ob die Forderung nach einem neuen Verbot des Rx-Versandhandels tatsächlich mehr als ein symbolischer Akt der Selbstberuhigung wäre. Dabei zeigen die Entwicklungen nicht etwa ein Scheitern des Vor-Ort-Prinzips – sondern das Eintreten dessen, was die Politik längst antizipiert hat: ein duales Versorgungssystem, das die Stärken beider Kanäle nutzt. Wer das für ungerecht hält, sollte die Maßstäbe hinterfragen.
Denn im Gegensatz zu manchem Stammtisch-Reflex geht es der Gesundheitspolitik weder um einen Kahlschlag noch um eine neue Marktdominanz von Plattformen. Die klare Aussage der neuen Bundesgesundheitsministerin, die Apotheken vor Ort stärken zu wollen, ist kein verkapptes Signal gegen Versender, sondern eine richtungsweisende Doppelstrategie. Wer diesen Spagat ignoriert, zementiert die eigene Ohnmacht. Wer ihn akzeptiert, kann Einfluss nehmen – etwa indem er auf faire regulatorische Bedingungen für beide Seiten pocht. Und damit auch die rechtspolitisch zentrale Frage nach der Rx-Preisbindung auf eine neue, konstruktive Ebene hebt.
Denn gerade hier beginnt die Debatte, sich zu drehen: Gleich mehrfach landete die Preisbindungsfrage zuletzt beim Bundesgerichtshof, und es wird klarer, dass die juristische Klärung kein Machtmittel mehr ist, sondern ein Normalisierungsinstrument. Wenn der Markt weiter in Bewegung bleibt – und alles deutet darauf hin –, dann braucht es keine Emotionalisierung, sondern Rahmenbedingungen, die auch das Wachstum des Versandhandels in geregelte Bahnen lenken. Auch Shop Apotheke und DocMorris müssen sich wirtschaftlich rechnen. Die Zeit des reinen Reichweiten-Wettrennens gegen die Logik der Betriebswirtschaft ist absehbar vorbei.
Das Problem ist nicht, dass die Versandapotheken erfolgreich sind – das Problem ist, dass sie sich einen Wachstumspfad bahnen konnten, während die Vor-Ort-Apotheken strukturell ausgebremst wurden. Die Digitalisierungshemmnisse, die fehlenden Gleichstellungen beim E-Rezept, die nach wie vor ungleich verteilte Sichtbarkeit im Patientenkontakt: Das sind keine Naturgesetze, sondern politische Versäumnisse. Wer also Gleichbehandlung fordert, muss auch digitale Teilhabe einfordern.
Die große Lehre aus dem jüngsten Wachstumsschub der Versender lautet: Es ist zu spät für Fundamentalopposition, aber nicht zu spät für faire Ordnungsrahmen. Nur wer nicht mehr vom alten Monopol träumt, erkennt die neuen Chancen. Und nur wer akzeptiert, dass Patientinnen und Patienten ein Recht auf Wahlfreiheit haben, kann mit Qualität, Beratung und Nähe punkten.
In diesem Sinne wäre es ratsam, die Diskussion wegzuführen von emotional aufgeladenen Pauschalurteilen über Versandhandel oder Vor-Ort-Versorgung – und stattdessen hin zu einer Debatte über Bedingungen, unter denen beide Modelle nachhaltig existieren können. Dazu gehört auch, den Einsatz von Boni und Aktionsprämien kritisch, aber realistisch zu betrachten. Die massive Bewerbung von Rx-Boni ist ein Störfaktor im Markt, doch sie basiert nicht auf struktureller Überlegenheit, sondern auf der finanziellen Rückenstärkung durch Investorengelder – ein System mit eingebautem Haltbarkeitsdatum.
Das sollte vor allem eines lehren: In einer Wirtschaft, die zunehmend von nachhaltigen Modellen geprägt wird, gewinnt am Ende nicht der lauteste Anbieter, sondern der robusteste. Und diese Robustheit ist kein Zufall, sondern Ergebnis politischer Gestaltung, ökonomischer Fairness und unternehmerischer Anpassung.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Was jetzt bröckelt, ist nicht nur ein Marktanteil, sondern ein jahrzehntelang unhinterfragtes Selbstverständnis. Die Zeit der Alleinstellung ist vorbei – und das ist gut so. Denn nur in einer Welt, in der Alternativen existieren, entfaltet sich echte Qualität. Die Frage ist nicht, ob das Monopol zu retten ist, sondern wie Vielfalt zu gestalten ist. Das wäre ein Fortschritt, kein Rückschritt.