Source: Deutsche Nachrichten
Einmalige Abschreibungen können Zufall sein – zweimalige Systemversagen. Das Versorgungswerk der Apothekerkammer Schleswig-Holstein hat innerhalb von zwei Jahren fast 90 Millionen Euro an Wertberichtigungen vorgenommen. Ursache sind hochriskante Kapitalanlagen, darunter Mezzanine-Investments, deren Totalausfallrisiko seit der Zinswende massiv unterschätzt wurde. Während die Vorsitzenden mit Verweis auf Rücklagen und „funktionierende Mechanismen“ um Vertrauen werben, wächst in der Versichertenschaft die Unsicherheit: Wie stabil ist das Konstrukt wirklich? Welche Kontrollgremien haben versagt? Und was bedeutet es, wenn ein Versorgungswerk in einem zentralen Anlagefeld derart fehlsteuert? Der Bericht analysiert, wie sich Sicherheitsillusion, regulatorische Trägheit und ein fragiles Renditedenken zu einem gefährlichen Dreiklang verdichten. Zugleich beleuchtet er, welche unmittelbaren Konsequenzen sich daraus für Apothekeninhaber ergeben – etwa in Bezug auf Mitgliedschaftsrechte, Forderungspflichten gegenüber der Kammer und mögliche Systemkorrekturen. Denn in einem fragilen Versorgungssystem reicht es nicht, nur Beitragszahler zu sein. Es braucht Mitsprache, Kontrolle und Konsequenz – bevor aus Fehlern Verluste und aus Verlusten Vertrauenskrisen werden.
Wenn die Architektur von Versorgungseinrichtungen ins Wanken gerät, ist nicht allein die Bilanz betroffen, sondern auch das Vertrauen in institutionelle Sicherheit. Das Versorgungswerk der Apothekerkammer Schleswig-Holstein steht nach einer erneuten Millionenabschreibung erneut im Fokus der Kritik: Rund 33 Millionen Euro wurden 2024 außerplanmäßig abgeschrieben, nach bereits 54,9 Millionen Euro im Vorjahr. Die Ursache liegt erneut in problematischen Immobilien- und Mezzanine-Investments, die auf veränderte Marktbedingungen mit drastischen Wertverlusten reagierten.
Was zunächst nach einem internen Bilanzproblem aussieht, ist in Wahrheit ein exemplarischer Fall institutioneller Risikodynamik – mit weitreichenden Implikationen auch für Apothekeninhaber. Denn das System der berufsständischen Altersvorsorge basiert auf Vertrauen, Planungssicherheit und Kontinuität. Wenn dieses System zweimal in Folge massive Verluste einfährt, wirft das nicht nur Fragen an das Asset Management auf, sondern auch an die regulatorische Kontrolle und die strukturelle Transparenz. Besonders kritisch wird es, wenn wiederholt auf Rücklagen verwiesen wird, ohne die Ursachen der Kapitalverluste offenzulegen. Solche Kommunikationsstrategien beruhigen temporär, lösen aber keine strukturellen Probleme.
Für Apothekenbetreiber, die als Mitglieder einzahlen und auf stabile Altersvorsorge vertrauen, ist diese Entwicklung von doppelter Relevanz. Erstens betrifft sie die Glaubwürdigkeit einer Instanz, der sie sich nicht entziehen können. Zweitens offenbart sie, wie tiefgreifend Marktverwerfungen auch Einrichtungen treffen können, die sich bisher als robust präsentierten. Der Reflex, auf Reserven über 100 Millionen Euro zu verweisen, mag kurzfristig beruhigen, ist aber mittelfristig kein Argument gegen strukturelle Schwächen. Denn wer zwei Jahre in Folge substanzielle Verluste realisiert, muss seine Risikostrategie hinterfragen, anstatt sie als resilient zu deklarieren.
Die Mezzanine-Investments, die in beiden Fällen einen erheblichen Anteil an den Abschreibungen ausmachen, gelten seit jeher als zweischneidiges Instrument. Sie versprechen hohe Renditen, positionieren sich zwischen Eigen- und Fremdkapital, bergen aber im Krisenfall besonders hohe Ausfallrisiken. Dass ein Versorgungswerk in solchem Umfang auf diese Kapitalform gesetzt hat, zeigt eine Renditeorientierung, die in Widerspruch zur eigentlichen Kernaufgabe steht: langfristige Sicherung von Altersvorsorgeansprüchen. Hier muss die Frage erlaubt sein, ob die Kapitalanlagestrategie der Einrichtung tatsächlich mit der Risikoprofilierung der Versicherten vereinbar ist.
Das Problem ist grundsätzlicher Natur: In einem Umfeld geldpolitischer Volatilität, geopolitischer Unsicherheiten und überhitzter Immobilienmärkte genügt es nicht, auf bewährte Modelle zu setzen. Es braucht ein aktives Risikomanagement, transparente Kommunikation und institutionelle Lernfähigkeit. Apothekeninhaber sollten sich nicht mit beruhigenden Mitteilungen zufriedengeben, sondern aktiv Aufklärung einfordern: Welche Gremien tragen Verantwortung? Welche Kontrollmechanismen haben versagt? Wie wird in Zukunft gesteuert? Wer entscheidet über die Allokation von Versorgungsmitteln? All das sind Fragen, die nicht nur der Verwaltungsausschuss, sondern auch die Kammer als übergeordnete Instanz beantworten muss.
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit das bestehende Regelwerk für Kapitalanlagen in Versorgungswerken ausreicht, um solche Fehlallokationen künftig zu verhindern. Die wiederholten Verluste legen nahe, dass entweder bestehende Regeln nicht ausreichen oder ihre Anwendung nicht hinreichend überprüft wird. Ein interner Kontrollausschuss allein ist dabei kein Garant für Risikoabwehr – externe Aufsicht und unabhängige Revision sollten Standard sein. Dass eine Gremienleitung selbst einräumt, von der Intensität der Marktverwerfungen überrascht worden zu sein, spricht nicht für professionelle Antizipation, sondern für strukturelle Überforderung.
Auch für andere Versorgungswerke ergibt sich aus diesem Fall ein Prüfauftrag: Wie sind vergleichbare Kapitalanlagen strukturiert? Gibt es interne Frühwarnsysteme für Marktverwerfungen? Welche Rolle spielen externe Berater, und wie unabhängig sind sie? Die Debatte um die Schleswig-Holsteinische Apothekerversorgung muss damit auch als Spiegel einer ganzen Systemlandschaft gelesen werden, in der Sicherheit als Versprechen existiert, aber nicht immer in Mechanismen überführt wurde.
Für Apothekenbetreiber bedeutet das, sich nicht nur als passive Beitragszahler zu verstehen, sondern als aktive Stakeholder. Es geht um mehr als Altersvorsorge: Es geht um Systemverantwortung. Das bedeutet auch, dass Informationspflichten eingefordert, Gremienentscheidungen hinterfragt und Mitwirkungsrechte wahrgenommen werden müssen. Denn die Krise von heute ist nicht das Ergebnis eines plötzlichen Unwetters, sondern Ausdruck eines systemischen Versäumnisses. Und diesem lässt sich nur mit struktureller Klarheit begegnen.
Die Mitgliederversammlungen am 9. und 10. Juli in Neumünster und Kiel werden zum Prüfstein. Sie bieten die Gelegenheit, die Kommunikationslinie des Versorgungswerks kritisch zu hinterfragen, aber auch die Mitglieder selbst in die Pflicht zu nehmen. Wer schweigt, legitimiert mit. Wer aufklärt, verändert.
Von Engin Günder, Fachjournalist