Apotheken-News: Datenschutz wankt, Apotheken kämpfen, Marktstrukturen kippen

Source: Deutsche Nachrichten
Ein Datenleck bei Volksversand bringt mehr als nur technische Schwächen ans Licht: Es rückt die fragile Realität digitaler Arzneimittelversorgung in den Fokus. Apotheken, die sich in komplexen Dienstleistungsstrukturen behaupten sollen, tun dies zunehmend unter Druck – finanziell, rechtlich und organisatorisch. Während sensible Kundendaten in Gefahr sind, stagnieren die Honorare, und das politische Interesse an einer Reform bleibt gering. Die Zerschlagung der US-Apothekenkette Rite Aid ist dabei mehr als ein transatlantisches Ereignis – sie zeigt, wie schnell Gesundheitsversorgung zur Verwertungsmasse werden kann, wenn ökonomische statt gesundheitspolitischer Interessen dominieren. Hinzu kommen alarmierende Entwicklungen wie die regulatorisch bedingte Verdrängung von Salbutamol, das Fehlen von HiMi-Nummern für Desinfektionsmittel oder der Missbrauch öffentlich geteilter Gesundheitsdaten durch Tech-Konzerne. Was fehlt, ist ein wirksames Gesamtkonzept: für Datenschutz, Versorgungssicherheit und eine zukunftsfähige Apothekenlandschaft – jenseits improvisierter Notlösungen.

Ein Hackerangriff auf die tschechische Versandapotheke Volksversand hat eine fundamentale Schwachstelle offengelegt, die weit über ein einzelnes Unternehmen hinausweist. Der „unbefugte Zugriff“ auf den Webshop betrifft nicht nur potenziell tausende Kunden in Deutschland, sondern zwingt die Branche zu einer unbequemen Einsicht: Die digitale Transformation im Gesundheitswesen wurde zu oft auf der Oberfläche gefeiert, ohne in die Tiefe gesichert zu sein. Während sich Politik und Öffentlichkeit mit den Versprechen der E-Rezept-Einführung und der elektronischen Patientenakte begnügten, haben Angreifer freie Bahn – auch für die hochsensiblen Medikationsdaten. Der Vorfall ist kein Einzelfall mehr, sondern Symptom eines strukturellen Sicherheitsdefizits.

Gleichzeitig werden Apotheken auf anderen Ebenen ausgehöhlt: Ihre Honorare stagnieren, obwohl sie mehr leisten denn je. Pharmazeutische Dienstleistungen, Impfangebote, Medikationsanalysen – all das ist Realität in deutschen Apotheken, doch der finanzielle Rückhalt bleibt ein Schatten seiner selbst. Was als Innovationsmotor gedacht war, bleibt ohne steuernde Wirkung. Denn wenn fast 9000 Apotheken Dienstleistungen erbringen, Rücklagen von Hunderten Millionen Euro entstehen, aber der reale Effekt im Versorgungssystem nicht sichtbar wird, dann ist die Architektur falsch, nicht das Engagement. Der pDL-Topf wächst, ohne zu wirken – ein Paradox, das die politischen Versäumnisse bei der Integration dieser Leistungen in eine übergeordnete Versorgungslogik sichtbar macht.

Noch eklatanter wird der Stillstand beim Blick auf die Versorgungssicherheit. Der Rückzug von Sandoz aus der Produktion von Salbutamol-basierten Dosieraerosolen – getrieben von Umweltregeln zur Reduktion fluorierter Treibhausgase – gefährdet die Arzneimittelversorgung in einem zentralen Bereich. Hier prallen klimapolitische Ambitionen auf die existenzielle Realität chronisch Erkrankter. Die europäische Regulierung mag langfristig sinnvoll erscheinen, kurzfristig aber bedroht sie die Verfügbarkeit lebenswichtiger Medikamente – eine Entwicklung, die nur durch proaktive Steuerung hätte abgefangen werden können. Dass Apotheken vor Ort nun improvisieren müssen, während die Industrie sich zurückzieht und die Politik schweigt, offenbart ein gefährliches Vakuum.

Nicht nur lokal, auch global wanken die Fundamente. In den USA geht mit Rite Aid die drittgrößte Apothekenkette unter. Die Zerschlagung ist nicht bloß eine Folge wirtschaftlicher Schieflagen, sondern auch ein Indikator für die zunehmende Privatisierung und Ökonomisierung von Versorgungsmodellen. Wer Arzneimittelversorgung rein marktwirtschaftlich denkt, muss auch mit deren Auflösung rechnen, wenn die Rendite ausbleibt. Für Europa und insbesondere Deutschland ist das mehr als ein transatlantischer Betriebsunfall – es ist ein mahnendes Lehrstück über die Verletzlichkeit von Strukturen, wenn politische Verantwortung durch Marktlogik ersetzt wird.

Noch bevor dieser internationale Dominoeffekt zu Ende gedacht ist, entsteht bereits das nächste Problem: Die Veröffentlichungspolitik von Meta bringt öffentliche Gesundheitskommunikation in Bedrängnis. Apotheken, die Facebook und Instagram für Aufklärung und Beratung nutzen, könnten ab dem 27. Mai unfreiwillig Teil eines gigantischen KI-Trainings werden. Die Tatsache, dass öffentliche Posts – inklusive Fotos, Kommentare und Gesundheitsinformationen – algorithmisch ausgewertet werden, tangiert nicht nur Datenschutzrechte, sondern das ethische Fundament digitaler Patientenkommunikation. Dass es dafür bislang keinen verpflichtenden Widerspruchsmechanismus auf Systemebene gibt, ist ein regulatorischer Skandal.

Parallel versagen auch klassische Verwaltungsroutinen: Desinfektionsmittel verlieren im Mai ihre abrechnungsfähige HiMi-Nummer – und damit ihren Status als pflegehilfsmittelrelevante Standardprodukte. Was trivial klingt, ist in der Praxis ein Versorgungsrisiko. Pflegekräfte stehen plötzlich ohne erstattungsfähige Hygienelösungen da, Apotheken können nicht liefern, und die Lücke entsteht nicht aus Mangel, sondern aus bürokratischer Blindheit. Sicherheit wird so zur Option – abhängig vom richtigen Verzeichnis, nicht von der realen Notwendigkeit.

All diese Einzelentwicklungen – von Hackerangriff bis Versorgungsversagen, von Rücklagenparadox bis Marktzerfall – eint ein übergeordnetes Problem: Es fehlt an systemischer Verantwortung. Die politischen Reaktionen sind punktuell, reaktiv, technokratisch. Doch was gebraucht wird, ist ein kohärenter Entwurf für eine Gesundheitsversorgung im digitalen, demografischen und ökologischen Wandel. Eine Strategie, die nicht nur Defizite verwaltet, sondern Zukunft gestaltet. Sonst wird der nächste Angriff, der nächste Rückzug, die nächste Zerschlagung nicht nur ein weiterer Punkt auf der Liste – sondern ein Strukturbruch, den niemand mehr reparieren kann.

Von Engin Günder, Fachjournalist