Source: Deutsche Nachrichten
Paravan GmbH warnt vor unbeabsichtigten Folgen internationaler Fahrzeugregulierung: Individuelle, barrierefreie Fahrzeugumbauten drohen an neuen und praktisch nicht umsetzbaren Cyber-Sicherheitsvorgaben der UN R155 zu scheitern – der Verein „Mobil mit Behinderung“ sieht ebenfalls dringenden politischen Handlungsbedarf.
Die neue UN-Regelung R155 zur Cybersicherheit in Kraftfahrzeugen soll moderne Fahrzeuge besser gegen digitale Angriffe schützen – doch sie führt unbeabsichtigt zu gravierenden Einschränkungen für Menschen mit Behinderung: Individuelle Anpassungen an Steuerung der Sekundärfunktionen wie Blinker, Licht oder Schaltung werden deutlich erschwert oder sogar unmöglich, da der Zugriff auf sicherheitsrelevante Fahrzeugsysteme blockiert ist.
Die Paravan GmbH, Pionier im Bereich barrierefreier Fahrzeuglösungen und Entwickler des innovativen Drive-by-Wire-Systems Space Drive, schlägt Alarm: Technische Schutzmechanismen dürfen nicht zur sozialen Ausgrenzung führen. „Was als Sicherheitsmaßnahme gedacht ist, wird in der Praxis zur digitalen Barriere für die Inklusion“, warnt Roland Arnold, Geschäftsführer der Paravan GmbH.
„Wenn notwendige Umbauten an modernen Fahrzeugen faktisch nicht mehr möglich sind, ist das technisch vielleicht erklärbar – gesellschaftlich, aber nicht akzeptabel.“
UN R155 – Schutzregelung mit unbeabsichtigten Folgen
Die Regelung schreibt vor, dass Änderungen an typgenehmigten Fahrzeugen nur zulässig sind, wenn sie mit dem Cybersecurity Management des Herstellers vereinbar sind. Das betrifft zentrale Funktionen wie Schaltung, Blinker oder Beleuchtung – und somit auch deren Anpassung für Menschen mit körperlichen Einschränkungen.
„Menschen mit Behinderung dürfen nicht zum Kollateralschaden von Sicherheitsbestimmungen werden“, betont Heinrich Buschmann, Gründer des Vereins Mobil mit Behinderung e. V.. „Mobilität ist Teilhabe – und Deutschland hat sich mit dem Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention 2009 verpflichtet, diese in größtmöglicher Unabhängigkeit zu gewährleisten.“
Fallbeispiel: Wenn Hightech zum Hindernis wird
Klaus, 62, Unternehmer und ehemaliger Musikproduzent, ist seit seinem 18. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit über zehn Jahren steuert er seine Fahrzeuge mit einem 4-Wege-Joystick – rund 270.000 Kilometer hat er damit bereits unfallfrei zurückgelegt. Für ihn ist individuelle Mobilität keine Option, sondern Grundvoraussetzung, um seinem Beruf nachzugehen, sein Unternehmen zu führen.
Sein aktuelles Fahrzeug: eine neue Mercedes S-Klasse mit autonomen Fahrfunktionen (Level 3). Doch der Weg zurück auf die Straße war lang: Mehr als ein halbes Jahr stand die Limousine im Paravan Mobilitätspark Aichelau, bevor der Umbau überhaupt beginnen konnte. Der Grund: Viele fahrzeugseitige Sekundärfunktionen – wie Blinker, Licht oder Gangwahl – ließen sich softwareseitig nicht mehr ansteuern.
Die Lösung: Statt digitaler Integration mussten mechanische Präzisionsmotoren installiert werden, die die Funktionen über ein spezielles Gestänge auslösen – weil ein Zugriff über die Fahrzeugsoftware nicht mehr möglich war. „Nur durch Mobilität konnte ich das erreichen, was ich erreicht habe“, sagt Klaus. „Aber dieser Umbau war ein Kraftakt. Ich wünsche mir, dass Technik nicht ausschließt, sondern befähigt.“
Und Klaus’ Fall ist kein Einzelfall. Bereits im kommenden Jahr werden ähnliche Herausforderungen auch bei sogenannten Volumenmodellen auftreten – etwa beim Mercedes CLA oder der Mercedes V-Klasse, die ebenfalls mit Level-3-Funktionalität ausgestattet sein werden. Dabei gilt: UN R155 und R156 sind für alle Hersteller verbindlich, wenn Fahrzeuge innerhalb der UNECE-Zone typgenehmigt werden – was auf nahezu alle in Europa aktiven Marken zutrifft.
Mercedes ist nicht der Sonderfall, sondern lediglich Vorreiter beim konsequenten Rollout dieser hochautomatisierten Fahrzeugarchitekturen. Andere Hersteller – ob VW, BMW, Stellantis, Hyundai oder Audi – werden folgen. Alle OEMs sind mittelfristig betroffen, sobald sie UN R155-konforme Fahrzeuge mit Assistenz- oder Automationspaketen auf den Markt bringen. Was heute als Einzelfall erscheint, wird in wenigen Jahren zum strukturellen Inklusionsproblem.
Barrierefreiheit sichern – was jetzt notwendig ist
Um auch künftig barrierefreie Mobilität zu ermöglichen und individuelle Fahrzeuganpassungen für Menschen mit Behinderung sicherzustellen, sieht die Paravan GmbH folgende Maßnahmen als notwendig an:
- Ein gesetzlich definierter Ausnahme- bzw. Sondergenehmigungsrahmen für behindertengerechte Umbauten im Kontext von UN R155.
- Verpflichtende technische Schnittstellen, die zertifizierten Umbauunternehmen den Zugang zu relevanten Fahrzeugsystemen unter Berücksichtigung der IT-Sicherheit ermöglichen.
- Die Einbindung von Inklusionsexperten und spezialisierten Anbietern in die Weiterentwicklung technischer Regulierungen wie UN R155 und UN R156.
- Gezielte politische Unterstützung bei der Entwicklung barrierefreier, sicherheitskonformer Technologien.
Denn neue Technologien sind für Menschen mit Behinderung zugleich Fluch und Segen: Werden sie inklusiv gedacht, bringen sie mehr Komfort, Unterstützung – und vor allem mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Werden sie jedoch zur Hürde, gefährden sie die soziale Teilhabe. Gerade beim Übergang zu autonomen Fahrfunktionen und Elektromobilität zeigt sich: Technische Innovation ist nicht automatisch soziale Innovation. Der Zugang zu moderner Mobilität darf nicht an Schnittstellen scheitern.
„Barrierefreiheit ist kein Nice-to-have – sie ist ein Grundrecht“, betont Roland Arnold. „Wir brauchen keine Sonderwege, sondern klare Rahmenbedingungen, die Sicherheit und Inklusion zusammen denken.“