Source: Deutsche Nachrichten
Die Bedeutung des Gebrauchtwagengeschäfts nimmt weiter zu. Hier erzielen Händler wichtige Umsätze und Gewinn. Bei der Vermarktung von Second-Hand-Fahrzeugen müssen neue Wege gegangen werden. Berylls by AlixPartners empfiehlt ein radikales Umdenken
- Gebrauchtwagenmarkt steht in Deutschland aktuell für 121 Milliarden Euro, wird bis 2035 auf 146 Milliarden anwachsen.
- Zurückhaltung bei neuen BEVs führt zu stark verzögerter Stabilisierung im Gebrauchtwagenmarkt.
- Secondhand-Geschäft wird wichtiger, aber erhebliches Restwertrisiko bei E-Fahrzeugen.
- 2035 prognostiziert Berylls by AlixPartners 30% BEV-Marktvolumen bei Secondhand. Bis dahin bleiben gebrauchte BEVs ein Risiko für jede Bilanz.
- Restwertrisiko kann mit einem Multizyklus-Vertriebsmodell besser gesteuert werden.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mehr als 2,8 Millionen Pkw neu zugelassen. Diese beeindruckende Zahl wird von den Besitzumschreibungen gebrauchter Fahrzeuge allerdings weit in den Schatten gestellt, denn diese ist rund 2,4-mal so groß, mehr als 6,5 Millionen Pkw wechselten im Jahresverlauf 2024 den Halter. Der Gebrauchtwagenmarkt ist für die Branche damit wichtiger denn je. Allerdings belasten steigende Leasing- und Subskriptionsquoten die Bilanzen von Fuhrparkbesitzern zunehmend und setzen sie einem steigenden Restwertrisiko im Gebrauchtwagenmarkt aus. Christopher Ley, Partner bei Berylls by AlixPartners: „Für Händler wird das Gebrauchtwagengeschäft immer wichtiger, denn feste Margen und BEV-Quoten machen es nötig, dass Umsatz und Gewinn mehr denn je mit Gebrauchtwagen erwirtschaftet werden.“ Eine Berylls by AlixPartners Analyse zeigt, dass der deutsche Gebrauchtwagenmarkt aktuell ein Potenzial von 121 Milliarden Euro bietet. Bis 2035 erwarten die Experten einen Anstieg auf 146 Milliarden Euro. Um dieses Potenzial zu erschließen, müssen sich alle Flottenbesitzer und der Handel bei der Vermarktung von Gebrauchtfahrzeugen neu orientieren.
Auch, weil die erste Generation batteriebetriebener Elektrofahrzeuge (BEV) in zunehmendem Umfang in den Gebrauchtwagenmarkt drängt. Aktuell machen sie dort etwa drei Prozent der Angebote aus. Problematisch dabei ist, dass ihr Restwert im Vergleich zu herkömmlichen Verbrennungsmotoren aufgrund der sich ständig weiterentwickelnden E-Antriebs-Technologie deutlich geringer ausfällt. Trotz niedriger Restwerte verkaufen sich BEVs als Gebrauchte dennoch nur sehr schleppend. Die Nachfrage nach E-Autos wächst generell auf breiter Front langsam, sowohl bei Neu- wie bei Gebrauchtwagen.
E-Auto-Gebrauchtmarkt stabilisiert sich nur sehr langsam
Der verhaltene Hochlauf der BEV-Zulassungen führt auch zu einer langsameren Stabilisierung im E-Auto-Gebrauchtwagenmarkt. Darum empfehlen die Berylls by AlixPartners-Experten ein Umdenken. Tobias Detzler, Associate Partner bei Berylls by AlixPartners: „Traditionell wird der Gebrauchtwagenmarkt als auf den Verkauf von Fahrzeugen beschränkt angesehen. Unser Zielbild zeigt jedoch, dass der Secondhand-Markt auch ein umfangreiches Angebot an Gebrauchtwagen über Vehicle-as-a-Service (VaaS)-Modelle umfassen kann, sei es über Leasing, Abonnement, Vermietung oder andere Angebote.“
Während der Gebrauchtwagenmarkt früher stark lokalisiert war und weitgehend auf persönlichen Beziehungen beruhte, hat er inzwischen mehrere Modernisierungswellen durchlaufen. Die Digitalisierung und Gebrauchtwagen-Verkaufsplattformen ermöglichen eine einfache Vergleichbarkeit und Preistransparenz. Sie verwandelten zudem einen lokalen in einen nationalen Markt. Gleichzeitig hat die zunehmende Bedeutung des Leasings als Absatzweg für den ersten Fahrzeug-Lebenszyklus zu mehr Gebrauchtwagenrückgaben für OEMs und zugehörige Händler geführt. Damit steigt der Druck, ihren Secondhand-Vertriebsansatz zu optimieren. Dies erstreckt sich auf die Fahrzeug-Aufbereitung, Anschluss-Garantien, Programme für zertifizierte Gebrauchtwagen und die Entwicklung eines Kundenerlebniskonzepts, das den Kauf eines Gebrauchtwagens mit dem Kauf eines Neuwagens vergleichbar macht.
Aus der Perspektive eines Leasingunternehmens, eines OEM oder eines Autohändlers, müssen mehrere wichtige Entscheidungen getroffen und über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs optimiert werden, wenn das klassische Verkaufen-und-vergessen-Geschäftsmodell in Frage gestellt wird. Sobald das Fahrzeug seine erste Nutzungsphase hinter sich hat und offiziell zu einem Gebrauchtwagen wird, gibt es mehrere mögliche nächste Zyklen:
- Das Fahrzeug könnte im Rahmen des Gebrauchtwagenleasings dem bestehenden Kunden angeboten werden.
- Das Fahrzeug kann in einen weiteren VaaS-Zyklus mit einem neuen Kunden eintreten.
- Das Fahrzeug kann im B2B-Bereich an einen Händler (innerhalb oder außerhalb der Organisation) verkauft werden.
- Das Fahrzeug kann im B2C-Bereich an einen Endkunden verkauft werden.
BEVs über mehrere Nutzungszyklen im Fuhrpark halten
Für gebrauchte BEVs gelten im Detail andere Regeln. Die Berylls by AlixPartners Analyse zeigt, dass BEVs im Restwert durchschnittlich 6.400 € unter dem Wert des Benziners liegen. Da die Endkunden nicht bereit sein werden, dieses Risiko zu tragen, müssen die OEMs diese Unsicherheit für neu geleaste BEVs in ihren eigenen Bilanzen halten. Um damit verbundene Verluste zu minimieren, gibt es eine intelligente Option: Statt BEVs zu verkaufen und nach dem ersten Nutzungszyklus mit einem hohen Wertverlust konfrontiert zu sein, kann das Fahrzeug im Fuhrpark verbleiben und in einem Gebrauchtwagen-VaaS-Zyklus, wie oben beschrieben, weiter monetarisiert werden. Durch die Integration von Gebrauchtwagen-VaaS-Angeboten in ihre Portfolios sind Fuhrparkbesitzer nicht mehr gezwungen, Fahrzeuge zu ungünstigen Konditionen zu verkaufen.
Für die Zukunft empfehlen die Fachleute, um Christopher Ley deshalb die Vertriebsmodelle radikal zu verändern. Der Neuwagenverkauf sollte einem Multizyklus-Modell weichen. Hersteller oder Leasingfirmen müssen bestrebt sein, die Fahrzeuge auch in zweiter und dritter Hand selbst zu nutzen. Damit ist ein weiterer Vorteil verbunden, denn Vertriebsincentivierungsmaßnahmen müssten nicht mehr lediglich auf die Neuwagen ausgerichtet werden, sie können den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge umfassen.
Erst im Jahr 2035 erwarten die Berylls by AlixPartners-Experten einen 30prozentigen Anteil der BEVs am Gebrauchtwagen-Marktvolumen. Dann kann von einer Stabilisierung des Marktes gesprochen werden. Bis zu dieser Marktdurchdringung bleiben gebrauchte BEVs ein mögliches Problem für jede Bilanz. Christopher Ley: „Mit diesem Risiko kann man umgehen, indem man die Restwert Verluste nicht materialisiert, das Fahrzeug also nicht verkauft, sondern eher als Used Car Leasing oder Abo weiter monetarisiert.“
Ein willkommener Nebeneffekt des langen Haltens ist der Zugriff des Herstellers auf alle im Auto verbauten Materialien. Vor allem Antriebsstrang und Batterie sind als Rohstoffquelle interessant. Gelangen sie an ihr Lebensende, kann sich der Hersteller mit den darin enthaltenen Stoffen zu einem Teil von den mitunter schwierigen Lieferketten beispielsweise für Seltene Erden emanzipieren.
Die Analyse und weitere Informationen, finden Sie im Anhang.
Mehr Infos unter: https://www.berylls.com/…