Strategie senkt Kosten, Kompetenz stärkt Versorgung, Systemversagen bremst Digitalisierung

Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute

In wirtschaftlich angespannten Zeiten entscheidet nicht das günstigste Angebot über den Erfolg einer Apotheke, sondern die Fähigkeit der Führung, strategisch, transparent und kompetenzorientiert zu handeln – Apothekerin Anja Paape zeigt, wie Marktanalysen, Konditionsvergleiche und Teamkommunikation Betriebskosten senken und Versorgung sichern können; während Irland Apotheken künftig die Behandlung einfacher Krankheitsbilder anvertraut, ringt Deutschland mit einer elektronischen Patientenakte, die kaum jemand nutzt und deren Scheitern Ärzteschaft und Politik gegenseitig zuschreiben; gleichzeitig bringt die neue PTA-Ausbildung mehr Praxisverantwortung, Dabigatran-Blister stellen Apotheken vor konkrete Anwendungsprobleme, Bitter- und Glaubersalz erhalten EU-Warnungen, Pharma Deutschland will neue OTC-Verfahren etablieren – und aus China kommt ein möglicher Therapieansatz für Tinnitus mit Acamprosat, der neue Debatten über Arzneimittelsicherheit und Beratungspflichten entfacht.

Wenn wirtschaftliches Denken an der Spitze nicht vorhanden ist, können operative Prozesse noch so effizient erscheinen – sie werden dennoch von strukturellen Fehlern überschattet, die sich im Kleinen kumulieren und im Großen versorgungsrelevant werden. Apothekerin Anja Paape aus Niedersachsen lebt vor, was viele unterschätzen: Wirtschaftliche Kompetenz beginnt nicht bei der Rechnungsprüfung, sondern bei Führungsstrategie, Mitarbeitereinbindung und der Bereitschaft, Prozesse nicht nur zu verwalten, sondern kritisch zu hinterfragen. Wer Einkaufskonditionen nicht regelmäßig auf Relevanz prüft, riskiert stille Geldverluste – ob durch Lagerüberhänge, unpassende Staffelpreise oder unnötige Rücksendungen. Diese Form der Verantwortungsökonomie gewinnt gerade in Zeiten multipler Belastungen an Gewicht: Inflation, Personalknappheit, E-Rezept-Einführung, verändertes Patientenverhalten – all das trifft Apotheken gleichzeitig und verlangt nicht kurzfristige Reaktionen, sondern strategische Weitsicht.

Diese Verantwortung spiegelt sich nicht nur im ökonomischen Bereich, sondern zunehmend auch in der Versorgungsstruktur. In Irland zeigt sich exemplarisch, wie politische Entschlossenheit und strategische Weichenstellung Apotheken als vollwertige Primärversorger etablieren können. Ab Ende des Jahres sollen irische Apotheker:innen bei acht definierten Krankheitsbildern selbst behandeln dürfen – darunter Gürtelrose, bakterielle Konjunktivitis und unkomplizierte Harnwegsinfekte. Was in Deutschland als undenkbar gilt, wird dort Realität. Möglich wird das durch klare rechtliche Rahmenbedingungen, evidenzbasierte Behandlungsleitlinien, eine konsequente Schulung der Apothekenteams und ein digitales System, das den Behandlungsverlauf dokumentiert und mit anderen Sektoren vernetzt. Die irische Regierung erkennt Apotheken nicht als Restposten stationärer Versorgung, sondern als strategische Ressource – eine Sichtweise, die in Deutschland bislang an föderalen Strukturen, Standesinteressen und politischen Zögerlichkeiten scheitert. Gerade die ePA, als zentrales Element einer vernetzten Versorgung gedacht, wird in Deutschland derzeit von den eigenen Anspruchsformeln eingeholt. Während das BMG ein milliardenschweres Digitalgesetz auf den Weg gebracht hat, sprechen Hausärzt:innen bereits von einer „Bruchlandung der ePA“. Die Nutzungszahlen sind marginal, die technischen Systeme fragmentiert, die Haftungsfragen ungelöst – und die Kommunikation zwischen Versorgungssektoren ist häufig Wunschdenken statt Realität.

Diese strukturellen Dysbalancen zeigen sich im Apothekenalltag täglich – etwa bei der Umsetzung des E-Rezepts. Ein Praxisbeispiel liefert die Pharmazeutix Apotheke im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg, wo Landtagspräsidentin Kristina Herbst (CDU) zu Besuch war. Sie ließ sich nicht nur den Handverkauf zeigen, sondern auch Backoffice-Prozesse und E-Rezept-Abläufe. Diese Offenheit ist ein wichtiges Zeichen: Nur wer politische Verantwortungsträger mitnimmt, kann Verständnis für die realen Hürden und Anforderungen der Apothekenversorgung schaffen. Zu diesen Hürden gehört auch die medikationsnahe Patientenberatung, die viel Zeit bindet und durch fehlende Informationen, unklare Gebrauchshinweise und Verpackungsunterschiede oft zusätzlich erschwert wird. Aktuelles Beispiel: Dabigatran. Während manche Hersteller auf Durchdrückblister setzen, verwenden andere seltenere Abziehformate. Diese sind für ältere oder motorisch eingeschränkte Menschen oft schwer zu öffnen – eine Tatsache, die sich jedoch in den Packungsbeilagen meist nicht nachvollziehen lässt. Apotheker:innen werden dadurch zu Alltagsübersetzern einer undurchsichtigen Arzneimittelrealität – und haften letztlich für Anwendungen, die nicht von ihnen konzipiert wurden.

Auch auf regulatorischer Ebene verschieben sich derzeit die Koordinaten. Seit dem 1. Januar 2023 gelten neue Vorgaben für die Ausbildung pharmazeutisch-technischer Assistent:innen (PTA). Erstmals starten Jahrgänge unter den verbindlichen Rahmenbedingungen der neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Diese soll mehr Praxisnähe und Kompetenztiefe schaffen – doch ob die Reform in der Breite wirkt, hängt von der konkreten Umsetzung vor Ort ab. Viel wird davon abhängen, wie gut die Apotheken auf ihre Rolle als Ausbildungspartner vorbereitet sind, wie die Koordination mit den Berufsschulen gelingt und wie viele qualifizierte Fachkräfte als Praxisanleiter:innen bereitstehen. Der Anspruch ist klar formuliert – doch ohne entsprechende Rahmenbedingungen droht die Reform ins Leere zu laufen. Parallel dazu wächst die Bedeutung der Selbstmedikation, insbesondere in den Bereichen Abführmittel, Schlafhilfen oder Schmerzbehandlung. Doch hier droht eine neue Unsicherheit: Laut einer aktuellen Bewertung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) können Bitter- oder Glaubersalze in bestimmten Dosierungen zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen führen. Die EU hat bereits reagiert: Künftig müssen entsprechende Warnhinweise verpflichtend in den Produktinformationen verankert werden. Für Apotheken bedeutet das: mehr Beratungsaufwand, mehr Risikoabklärung – und die Notwendigkeit, Wissen schnell zu aktualisieren, um Patient:innen adäquat aufzuklären.

Genau in diesem Spannungsfeld setzen auch die aktuellen Überlegungen von Pharma Deutschland an: Der Branchenverband arbeitet derzeit an neuen Vorschlägen für ein reformiertes Verfahren zur Entlassung von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht (OTC-Switch). Hintergrund ist die immer wieder beobachtete Blockadehaltung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht (SVA), der selbst bei etablierten Wirkstoffen eine Liberalisierung verweigert – aus Sicht der Industrie ohne ausreichende Transparenz. Pharma Deutschland will daher alternative Antragswege schaffen, in denen Nutzen-Risiko-Verhältnisse, internationale Erfahrungen und sektorspezifische Versorgungslücken stärker berücksichtigt werden. Doch auch hier gilt: Mehr OTC heißt mehr Eigenverantwortung – und damit mehr Bedarf an qualifizierter Beratung. Wenn Beratungspflichten im Zug der Liberalisierung ausgehöhlt werden, drohen medizinische Grauzonen, in denen Patient:innen mit Symptomen experimentieren, statt therapiert zu werden. Ein Beispiel für diese Grauzonen liefert ein aktueller Review aus China, in dem das Anti-Craving-Mittel Acamprosat – ursprünglich für Alkoholabhängige entwickelt – als potenzielle Hilfe bei subjektivem Tinnitus diskutiert wird. Erste Studien deuten auf eine Wirkung hin, doch das Evidenzniveau ist schwach, die Methodik uneinheitlich. Dennoch verbreitet sich die Information schnell in sozialen Medien und Patientenforen – und landet schließlich in der Offizin, wo Apotheker:innen erneut erklären müssen, was Indikation, Zulassung und Hoffnung auseinanderhält.

Wirtschaftlich führen heißt also mehr als Kosten zu senken. Es heißt: mitdenken, mitverantworten, mitsteuern. Apotheken sind längst keine statischen Arzneimittelausgabestellen mehr, sondern hochkomplexe Versorgungseinheiten, deren Wirtschaftlichkeit direkt mit ihrer strategischen Positionierung zusammenhängt – im Team, im Ort, im System. Wer das erkennt, erkennt auch: Wirtschaftlichkeit ist kein Gegenspieler von Qualität, sondern deren Voraussetzung. Doch sie verlangt Entscheidungen – und Entscheidungskraft. Genau daran fehlt es oft in der Gesundheitspolitik, im föderalen Strukturgerangel, in der vorsichtigen Standeskommunikation. Irland zeigt, wie es gehen kann. Und Apotheken wie die von Anja Paape zeigen, dass man nicht auf bessere Rahmenbedingungen warten muss, um besser zu führen. Man muss nur anfangen.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.

Verantwortung beginnt nicht mit Budgetfragen, sondern mit Haltung. Wer wirtschaftlich handelt, denkt voraus – nicht nur in Zahlen, sondern im Sinn von Versorgung, Sicherheit und Struktur. Apotheken, die führen, statt nur zu reagieren, können Entwicklungen prägen, bevor sie zum Problem werden. Ob neue Ausbildungsformate, regulatorische Anforderungen, Arzneimittelrisiken oder digitalpolitische Trägheit – überall zeigt sich: Die Zukunft der Apotheken entscheidet sich nicht an der Ladenkasse, sondern an der Haltung ihrer Führung.