Kapital steuert Logistik, Beratung verliert Stimme, Versorgung wird Plattform

Source: Deutsche Nachrichten
 

Apotheken-News: Bericht von heute

Während sich die Versandapotheken mit dreistelligen Millionenbudgets auf die Rx-Versorgung der Zukunft vorbereiten, verschwinden jeden Monat rund 20 Apotheken aus der Versorgungslandschaft – ohne Aufschrei, ohne Wende, ohne Strategie. Die Apotheken-Nachrichten analysieren die stille Erosion eines zentralen Heilberufssektors, der von regulatorischer Trägheit, politischem Desinteresse und verbandlicher Sprachlosigkeit zersetzt wird. Während Versender durch Logistikzentren, Plattformbindung und digitale Patientenlenkung ihre Positionen ausbauen, verlieren wohnortnahe Apotheken an Boden – trotz zunehmendem Beratungsbedarf und Versorgungslücken. Die Abda bleibt stumm, obwohl die strukturelle Schieflage unübersehbar ist. Der Bericht zeigt, warum die mediale Inszenierung einer „Rx-Milliardenschlacht“ nicht die ganze Wahrheit erzählt, welche Mythen den Versand stärken und wie sich eine ethisch fundierte Versorgung gegen algorithmische Optimierung verteidigen lässt – bevor die rote Linie endgültig überschritten ist.

Die Warnzeichen sind überall – nur scheint niemand mehr hinzusehen. 230 Apotheken weniger in nur zwölf Monaten, das ergibt fast eine pro Werktag. Die öffentliche Reaktion? Stille. Währenddessen investieren große Versandplattformen gezielt dreistellige Millionenbeträge in Logistikzentren, Patientenbindung und digitale Rezeptinfrastruktur. Dass sich hier nicht bloß Marktkräfte entfalten, sondern eine massive Umverteilung heilberuflicher Versorgung stattfindet, bleibt weitgehend unbeachtet. Die Apotheken-Nachrichten legen offen, was sich tatsächlich hinter der sogenannten „Rx-Milliardenschlacht“ zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandhändlern verbirgt, warum relevante Akteure aus der Verantwortung treten und wie eine ganze Versorgungsarchitektur systematisch destabilisiert wird – mit gravierenden Folgen für Gesundheitsberufe, Patientensicherheit und die Grundstruktur der Daseinsvorsorge.

Im Zentrum steht das Argument: Wettbewerb sei gesund. Doch dieser Wettbewerb ist längst keiner mehr auf Augenhöhe. Während die inhabergeführte Apotheke mit Regressen, Rabattverträgen, Betriebswirtschaft, Aufsichtsrecht, Nacht- und Notdienst sowie einem Dschungel aus Abrechnungsregeln und Patientenansprüchen kämpft, profitieren die Versender von Plattformvorteilen, Steueroptimierung, Konzentrationseffekten und selektiver Regulierung. Die Patientinnen und Patienten erleben davon nur die Oberfläche: schnelle Lieferung, Rezept per App, bequeme Zustellung. Doch was sie nicht sehen – und nicht sehen sollen –, ist der Rückzug heilberuflicher Verantwortung hinter Prozesse, Interfaces und Versandlogistik. Beratung wird zur Randnotiz, Kommunikation zur Serviceform, Versorgung zur Paketnummer.

Die Apotheken-Nachrichten analysieren diese Entwicklung nicht als bloßen Strukturwandel, sondern als gezielte Verschiebung professioneller Zuständigkeit: von der individuellen Verantwortung in der Beratung hin zur standardisierten Warenbewegung im Plattformbetrieb. Diese Verlagerung ist nicht neutral. Sie ist ein strategischer Umbau der Versorgung. Wo heute pharmazeutische Expertise im Gespräch, in der Rezeptprüfung oder der Medikationsanpassung relevant ist, steht morgen ein skriptgesteuerter Prozess – verbunden mit Automatisierung, KI-Vorselektion und Risikoauslagerung. Beratung wird so zum Störfaktor in einer Logik, die auf Effizienz statt Fürsorge zielt. Patientensicherheit wird rechnerisch eingeordnet, nicht mehr menschlich abgewogen. Versorgungsnähe wird durch Prozessoptimierung ersetzt.

Parallel dazu fehlt die öffentliche Sprache für diesen Verlust. Es gibt keine politische Initiative, kein verbandsübergreifendes Alarmsystem, kein kollektives Nein zu dieser Entwicklung. Die Apotheken-Nachrichten registrieren seit Monaten eine Sprachlosigkeit, die gefährlicher ist als jede direkte Bedrohung. Die Zahlen sind bekannt. Die Kurven sind eindeutig. Die ökonomische Logik der Konzentration ist offen nachvollziehbar. Und doch geschieht nichts. Die Schließung von Apotheken wird zur stillen Routine. Selbst in strukturschwachen Regionen, wo jede Schließung eine Versorgungslücke hinterlässt, bleibt der Protest aus – weil die Öffentlichkeit kein Bild, keine Geschichte, keine erkennbare Alternative geliefert bekommt. Was fehlt, ist nicht nur die politische Energie, sondern die kommunikative Rahmung: Warum dieser Verlust so gefährlich ist, erschließt sich oft nicht von selbst.

Dabei ist der Vergleich längst verschoben: Die Frage ist nicht mehr „Versand oder vor Ort“, sondern „Verantwortung oder Entkopplung“. Die Apotheken-Nachrichten zeigen, dass die viel beschworene Digitalisierung kein Problem wäre – wenn sie in einem heilberuflichen Rahmen erfolgte, mit klarer Relevanz für Beratung, Verantwortung und individuelle Begleitung. Doch genau diese Einbindung fehlt im aktuellen Modell. Plattformlogik ersetzt Berufsethik. Skalierbarkeit ersetzt Versorgungskontinuität. Und das ist kein Missverständnis – es ist ein struktureller Bruch mit dem Prinzip heilberuflicher Nähe. Wer Beratung als Hindernis behandelt, hat das Prinzip Versorgung nicht verstanden, sondern gegen Verfügbarkeitsillusionen eingetauscht.

Noch gravierender ist: Das eigentliche Leistungspotenzial der Vor-Ort-Apotheke – Nähe, Vertrauen, persönliche Kenntnis, juristische Haftung, Situationsklärung, Medikationsbegleitung – wird in keiner Bilanz, keinem Whitepaper, keiner Investorenpräsentation geführt. Es ist nicht abbildbar in den gängigen KPIs des Versandmodells. Und genau deshalb gilt es als verzichtbar. Die Logik ist brutal einfach: Was sich nicht skalieren lässt, wird nicht mehr als Teil der Zukunft gerechnet. Damit werden nicht nur Apotheken marginalisiert, sondern die Grundlogik der heilberuflichen Versorgung auf den Kopf gestellt – von einer dialogischen in eine einseitige, von einer individuell verantworteten in eine entpersonalisiert verarbeitete Form.

Doch Versorgung ist kein Produkt. Sie ist Beziehung. Und sie braucht Orte, an denen diese Beziehung lebendig wird – durch Menschen, nicht durch Systeme. Wenn diese Orte verschwinden, wird aus Versorgung ein Durchlaufprozess. Arzneimittel kommen vielleicht noch an, aber Gesundheit entsteht dabei nicht. Die Apotheken-Nachrichten dokumentieren diese Entkopplung nicht nur als sektorales Problem, sondern als Schlüsselfrage gesellschaftlicher Stabilität. Denn wenn heilberufliche Verantwortung in Plattformstrategien aufgeht, verschwindet mehr als nur ein Geschäftsmodell. Es verschwindet eine Kultur der Nähe. Und diese lässt sich nicht einfach wieder herstellen, wenn sie erst einmal zerstört ist.

Was nun gebraucht wird, ist kein Rückschritt und kein Beharren auf analoge Gewohnheiten. Gefragt ist ein neues Verständnis davon, was Versorgung bedeutet – und wer sie trägt. Apotheken können digital arbeiten. Sie können vernetzen, automatisieren, optimieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Abgabestellen mutieren. Die Apotheken-Nachrichten fordern deshalb: Digitale Transformation ja – aber eingebettet in heilberufliche Verantwortung. Sonst droht die endgültige Aushöhlung eines Berufsstandes, der mehr ist als ein Versandkanal für Medikamente.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.

Der Bruch verläuft nicht zwischen digital und analog, nicht zwischen Technik und Mensch – sondern zwischen Verantwortung und Rendite. Wer Versorgung zur Ware erklärt, verkauft mehr als Medikamente: Er verkauft das Prinzip, dass Nähe zählt, dass Beratung wirkt, dass Wissen schützt. Und das ist ein Preis, den niemand zahlen sollte – auch wenn er erst später auf der Rechnung steht.