Source: Deutsche Nachrichten
.
Apotheken-News: Bericht von heute
Der Versandvorstoß von dm, ein Justizskandal rund um delegierte Anklageschriften, ein europäisches Urteil zu Titandioxid, alarmierende Tollwutmeldungen in der Hauptstadt und eine fortbestehende Ungleichverteilung beim Kinderkrankengeld – die Apotheken-Nachrichten fassen fünf Entwicklungen zusammen, die zeigen, wie tief sich strukturelle Fragen durch alle Bereiche der Gesundheits- und Versorgungspolitik ziehen. Während dm mit diskreten Testsendungen die eigene Infrastruktur für einen Arzneimittelversand etabliert, entfaltet sich in Frankfurt ein Korruptionsfall, bei dem ein Staatsanwalt ohne fachliche Grundlage externe Firmen mit sensiblen Aufgaben betraut haben soll – und das im Umfeld einer bereits vorbelasteten Antikorruptionsstelle. Parallel wird ein zentrales Kapitel europäischer Chemikalienbewertung neu aufgeschlagen: Der EuGH hebt die Krebswarnung für Titandioxid wegen methodischer Mängel auf – mit Folgen für Produkte von Zahnpasta bis Sonnencreme. Ergänzt wird die Lage durch eine biologische Warnung: Ein Tollwutfund bei einer Berliner Fledermaus. Und schließlich stellt sich die Frage: Warum bleiben Mütter 2024 immer noch dreimal so häufig mit kranken Kindern zu Hause wie Väter – trotz gesetzlicher Gleichstellung? Die Apotheken-Nachrichten ordnen diese Themen ein, quer durch Systeme, Erwartungen und Widersprüche.
Der Drogeriekonzern dm betritt ein Terrain, das bis vor Kurzem der Apothekerschaft vorbehalten war – und macht es auf seine Weise. In aller Stille wurden erste Testpakete mit rezeptfreien Arzneimitteln an ausgewählte Angestellte versandt, als Auftakt für eine umfassendere Versandstrategie im zweiten Halbjahr. Was nach einer logistischen Nebensache klingt, markiert einen tiefgreifenden Einschnitt in die Versorgungsarchitektur des deutschen Gesundheitswesens – und ein strategisches Signal, das weit über den Einzelfall hinausweist. Denn dm dringt damit in einen Markt ein, der bisher nicht nur durch gesetzliche, sondern auch durch kulturelle und heilberufliche Leitplanken definiert war. Dass diese nun zugunsten von Convenience, Volumen und Plattformintegration weichgespült werden, ist kein Zufall, sondern System. Der Konzern nutzt seine bestehende Kundenbindung, kanalisiert sie über Onlinekanäle, testet Zustellqualität – und umgeht dabei elegant die Debatte um heilberufliche Verantwortung.
Die Unternehmenskommunikation bleibt vage, spricht von internen Tests, von Paketlaufzeiten, von logistischen Lerneffekten. Doch in Wahrheit geht es längst um Marktöffnung, um Gewöhnung und um Akzeptanzschaffung. Was die Apotheken-Nachrichten in ihrer heutigen Analyse betonen: Mit jeder dieser Sendungen verschiebt sich ein Stück Versorgungskultur – schleichend, aber systematisch. Während die klassischen Apotheken mit Lieferengpässen, Personalnot und regulatorischer Überforderung kämpfen, demonstriert dm, wie sich Ressourcenströme bündeln lassen: Lagerhaltung, Versandlogistik, IT-Plattform, Kundenservice – alles bereits vorhanden, alles skalierbar. Die Pilotphase liefert nicht nur Arzneimittel, sie liefert vor allem Argumente für Investoren, Politiker und Konsumenten. Der Rückzug auf das „rezeptfreie“ Sortiment wirkt dabei wie ein Testballon mit eingebautem Marketingeffekt. Was einmal funktioniert, lässt sich ausweiten.
Der Vorstoß trifft auf ein Vakuum, das sich in der öffentlichen Debatte über die Apothekenversorgung immer stärker bemerkbar macht: Die Abwesenheit einer politischen Vision für das, was wohnortnahe, unabhängige Arzneimittelversorgung eigentlich leisten und schützen soll. In diesem Vakuum pflanzt dm sein Modell – mit leiser, aber entschlossener Konsequenz. Der Fall erinnert an andere stille Infiltrationen von Marktsegmenten: zuerst Randangebote, dann Standardprodukte, schließlich Systemumstellungen. Wer hier nur auf das erste Päckchen schaut, übersieht den strategischen Fluss, der längst in Bewegung ist. Entscheidend ist nicht, dass dm Arzneimittel liefert – sondern dass es niemand mehr grundsätzlich infrage stellt.
Ein Frankfurter Staatsanwalt, zuständig für die Verfolgung von Korruptionsdelikten, hat seine eigenen Maßstäbe für Verantwortung offenbar neu definiert – mit Folgen: Wegen Untreue wurde der 38-Jährige nun zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro verurteilt. Was das Urteil besonders brisant macht, ist nicht nur der Rechtsverstoß selbst, sondern das institutionelle Umfeld, in dem er geschah: Der Angeklagte arbeitete ausgerechnet in der Antikorruptionsstelle der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft – jener Einrichtung, deren früherer Leiter bereits wegen Bestechlichkeit und Untreue eine Haftstrafe verbüßt. Der aktuelle Fall offenbart nun, wie tief strukturelle Fehlsteuerungen reichen können, wenn Macht, Druck und Intransparenz sich verbinden.
Der Staatsanwalt hatte in sieben Fällen externe Firmen – mit Personal ohne juristische Qualifikation – für die Ausarbeitung von Anklageschriften in komplexen Abrechnungsverfahren beauftragt. Diese Firmen wurden aus Steuergeldern bezahlt, ohne dass eine hinreichende Prüfung ihrer Kompetenz oder Unabhängigkeit erfolgte. Die Apotheken-Nachrichten verweisen in ihrer heutigen Kommentierung auf die besondere Brisanz solcher Vorgänge im medizinischen Sektor: Wenn Verfahren wegen ärztlichen Abrechnungsbetrugs auf Gutachten gründen, die unter intransparenten Bedingungen und mit fachfremdem Personal entstehen, steht nicht nur die juristische Validität, sondern auch das Vertrauen in das System auf dem Spiel.
Die Gerichtsentscheidung betont, dass der Staatsanwalt nicht gezwungen war, diesen Weg zu gehen. Es war eine Entscheidung unter Druck – aber eine eigene. Die Motivation: hohe Arbeitsbelastung, ein dominanter Vorgesetzter, drohende Verjährung. Doch gerade in solchen Situationen sollte ein funktionierendes System Absicherung, Kontrolle und Haltung bieten. Dass dies in der Antikorruptionsstelle nicht der Fall war, ist ein alarmierendes Zeichen – nicht nur für die Justiz, sondern für alle Akteure, die auf deren Integrität angewiesen sind.
In Berlin-Charlottenburg wurde bei einer aufgefundenen Fledermaus das Tollwutvirus nachgewiesen. Die Senatsverwaltung für Verbraucherschutz warnte vor direktem Kontakt mit Wildtieren. Das Tier war von einer Privatperson zu einer Tierarztklinik gebracht worden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Krebswarnung für den Weißmacher Titandioxid aufgehoben – und damit ein zentrales Element der EU-Chemikalienregulierung ins Wanken gebracht. Der Stoff, enthalten in Zahnpasta, Sonnencreme, Wandfarbe und Kosmetika, darf vorerst nicht mehr als „karzinogen“ eingestuft werden. Grund: Die EU-Kommission stützte ihre Warnung auf eine Risikobewertung, bei der wesentliche wissenschaftliche Kriterien nicht beachtet wurden. Die Apotheken-Nachrichten weisen in ihrer heutigen Bewertung auf die tieferliegende Problematik hin: Es geht nicht nur um einen Stoff, sondern um die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Fundierung in regulatorischen Verfahren.
Dass Hersteller, Importeure und Lieferanten gegen die Einstufung protestierten, ist wirtschaftlich nachvollziehbar – dass der EuGH ihnen nun Recht gibt, wirft ein Schlaglicht auf Schwächen in der Entscheidungsarchitektur der EU. Die ursprüngliche Krebswarnung aus dem Jahr 2019 basierte auf einer Studie, deren Validität nun gerichtlich angezweifelt wird. Zwar blieb Titandioxid auch damals erlaubt, doch musste es mit Warnhinweisen versehen werden. In Lebensmitteln ist der Einsatz seit 2022 verboten – wegen möglicher Erbgutschäden. Nun steht die Risikobewertung für zahlreiche Produkte erneut zur Diskussion.
Der EuGH betont, dass der Begriff „karzinogen“ weitreichende rechtliche und wirtschaftliche Folgen habe – und daher nur bei eindeutiger wissenschaftlicher Grundlage genutzt werden dürfe. Der Fall zeigt, wie fragil das Gleichgewicht zwischen Vorsorgeprinzip, wissenschaftlicher Exaktheit und Marktinteressen ist – und wie leicht es kippen kann, wenn ein Glied in der Kette nicht trägt.
Trotz rechtlicher Gleichstellung zeigt sich bei der Inanspruchnahme des Kinderkrankengeldes ein vertrautes Bild: Mütter bleiben häufiger zu Hause als Väter – und das deutlich. Neue Zahlen der Barmer belegen, dass Frauen 2024 rund 296.000 Anträge stellten, Männer lediglich 109.000. Auch bei den Zahltagen ist das Ungleichgewicht frappierend: 648.000 Tage bei Frauen gegenüber 229.000 bei Männern.
Die Apotheken-Nachrichten stellen fest: Die Betreuungsverantwortung bleibt in vielen Haushalten ungleich verteilt, trotz erweiterter Anspruchsregelungen seit Jahresbeginn. Jedes Elternteil kann nun 15 Tage pro Kind im Jahr beanspruchen, Alleinerziehende sogar 30, bei mehreren Kindern sind gestaffelt bis zu 70 Tage möglich. Doch Anspruch allein schafft keine gelebte Gerechtigkeit. Die Zahlen deuten darauf hin, dass soziale Rollenbilder, berufliche Realität und innerfamiliäre Aushandlung oft gegen die Gleichverteilung arbeiten.
Zwar kann das Kinderkrankengeld flexibel – etwa tageweise – auch von Homeoffice-Eltern genutzt werden. Doch in der Praxis scheint sich dies kaum durchzusetzen. Die Diskussion um Care-Arbeit bleibt somit nicht nur politisch aktuell, sondern auch versorgungstechnisch relevant. Denn jede familiäre Betreuungslücke, die ungleich aufgeteilt wird, wirkt sich langfristig auf Erwerbsbiografien, Rentenansprüche und berufliche Gleichstellung aus – weit über den Krankheitsfall eines Kindes hinaus.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Ob Versandhandel, Justizversagen, Chemikalienregulierung oder soziale Rollenmuster – die heutige Nachrichtenlage zeigt, wie eng scheinbar getrennte Lebensbereiche miteinander verknüpft sind. Arzneimittelversorgung, Vertrauen in staatliche Institutionen, wissenschaftliche Standards und Care-Arbeit stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern bilden ein Wirkungsgefüge, das tägliche Entscheidungen und langfristige Weichenstellungen gleichermaßen prägt. Wer heute Testpakete verschickt, Gutachten delegiert, Studien untergräbt oder Zuständigkeiten verschiebt, gestaltet Versorgung, Recht und Gesundheit der Zukunft – nicht immer sichtbar, aber unübersehbar in der Summe ihrer Effekte. Es sind die scheinbar kleinen Verschiebungen, die große Fragen aufwerfen. Und genau dort setzen die Apotheken-Nachrichten ihre Analyse an.