Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Der gesetzliche Mindestlohn wird in den kommenden Jahren weiter steigen – auf 13,90 Euro im Jahr 2026 und voraussichtlich 14,60 Euro im Jahr 2027. In manchen Branchen wird diese Entwicklung mit Sorge betrachtet, in anderen mit Gelassenheit. Doch wie wirkt sich diese Anpassung auf Apotheken aus, in denen tarifliche Untergrenzen bereits seit Jahren oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen? Während in Medien und Betrieben teils laut über Personalengpässe, steigende Gehälter und wirtschaftliche Unsicherheiten spekuliert wird, kommen Fachleute zu einer differenzierteren Einschätzung: Für die Apothekenbranche ist der neue Mindestlohn weder eine Bedrohung noch eine Garantie für Stabilität, sondern vor allem ein Anlass zur Neujustierung interner Kostenarchitekturen und Führungsroutinen. Wie Prof. Reinhard Herzog gegenüber den Apotheken-Nachrichten betont, liege die Herausforderung nicht in der Zahl selbst, sondern in der Kommunikation nach innen – gegenüber Mitarbeitenden, die Inflationsdruck und Unsicherheiten spüren, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit, die Apotheken wirtschaftliche Stärke oder Schwäche oft nur intuitiv zuschreibt. Wer in dieser Lage klug kommuniziert, transparent kalkuliert und Personalpolitik nicht auf Rückzug, sondern auf Bindung anlegt, kann die Lohnentwicklung sogar strategisch nutzen. Entscheidend ist nicht der Betrag – sondern das Verständnis dafür, was Wert ist.
Kaum ist die neue Mindestlohn-Empfehlung offiziell, rumort es in den Foren der Arbeitgeber – und auch unter Apothekeninhaber:innen regen sich bekannte Reflexe: höhere Personalkosten, steigender Druck, wachsender Abstand zur Rentabilität. Doch bei näherer Betrachtung ist die Panik fehl am Platz. Die Mindestlohnanpassung auf 13,90 € ab 2026 und 14,60 € ab 2027 stellt keineswegs eine existenzielle Bedrohung für Apotheken dar – sie zeigt vielmehr, wo Lücken im Betriebsmodell klaffen, die ohnehin längst geschlossen gehören. Wer jetzt ruft, dass sich Apotheken das nicht leisten könnten, verkennt die Dynamik der eigenen Personalkultur – und auch die realen Zahlen.
Tatsächlich arbeiten Apothekenkräfte – ob PTA, PKA oder Hilfskräfte – schon heute oft über dem Niveau des allgemeinen Mindestlohns. Der neue gesetzliche Satz rückt das unterste Lohnband lediglich näher an die Realität heran. Es handelt sich nicht um einen Kostenschock, sondern um eine Angleichung an ein Lohngefüge, das in der Apothekenwelt ohnehin nicht durch Dumping definiert ist. Vielmehr führt die Debatte einmal mehr zu der Frage, wie Apotheken mit Ressourcen umgehen, wie sie ihre betriebliche Planung strukturieren und ob sie mittel- bis langfristig so aufgestellt sind, dass steigende Lohnkosten nicht automatisch als Alarmzeichen gedeutet werden müssen.
Prof. Reinhard Herzog von der Hochschule Anhalt bringt es auf den Punkt: „Don’t worry, don’t be happy – der Mindestlohn ist kein Grund zur Freude, aber auch keiner zur Furcht.“ Entscheidend sei nicht der gesetzliche Satz an sich, sondern die Frage, wie Apotheken ihren tatsächlichen Personalbedarf bemessen, Qualifikation belohnen, Arbeitszeiten effizient steuern und ihr Beratungspotenzial ökonomisch klug einsetzen. Denn was hilft der höchste Lohn, wenn Qualifikation versandet? Was bringt Sparen, wenn dadurch Arbeitszufriedenheit und Kundenbindung leiden?
Besonders deutlich wird das am Beispiel der Minijobs. Viele Apotheken greifen in Randzeiten oder bei Engpässen auf geringfügig Beschäftigte zurück – etwa für Botendienste, Lager, Ordnungsaufgaben. Diese Tätigkeiten waren bislang oft im Grenzbereich des Mindestlohns angesiedelt. Mit der künftigen Anhebung rückt jedoch die Frage in den Vordergrund: Welche Rolle spielen diese Tätigkeiten im Gesamtkonzept der Apotheke? Sind sie betriebswirtschaftlich notwendig, können sie automatisiert werden, oder wird es Zeit, diese Bereiche als Teil einer integrierten Personalstrategie zu verstehen – nicht als isolierte Lohnlast?
Denn Lohn ist nicht einfach nur ein Kostenfaktor. Er ist eine Aussage über Haltung, Planung, Wertschätzung – und letztlich auch über die Leistungsfähigkeit des Systems. In diesem Sinne wäre es fatal, die Mindestlohndebatte als rein exogene Belastung zu sehen. Vielmehr zwingt sie die Betriebe zur ehrlichen Selbstanalyse: Wo stehen wir im Umgang mit Personalentwicklung, Ausbildungsbindung, Teilzeitflexibilität, Dienstplanqualität und Digitalisierung? Wo gibt es Potenzial, das bisher durch strukturelle Starrheit blockiert war?
Kritisch wird es nur dann, wenn Apotheken am Mindestlohn hängen wie an einer Reißleine – weil sie keine leistungsdifferenzierte Lohnstruktur aufgebaut haben, weil Qualifikationen nicht hinterlegt, sondern austauschbar behandelt werden. Wo das der Fall ist, hilft kein Aufschrei – dort ist die Mindestlohnerhöhung nur das Symptom einer schon lange bestehenden Disbalance.
Umgekehrt gilt: Wer heute gut bezahlt, wird morgen nicht untergehen. Wer seine Mitarbeitenden kennt, fördert und langfristig binden will, braucht keine Angst vor Mindeststandards zu haben. Im Gegenteil: Die Lohnentwicklung kann ein Hebel sein, um endlich die sprechende Apotheke, die gesundheitsorientierte Dienstleistung und die patientenzentrierte Beratung in der betriebswirtschaftlichen Planung zu verankern – nicht als Feigenblatt, sondern als betriebliche Wirklichkeit.
Die Mindestlohnerhöhung ist kein Tsunami – und auch keine Lappalie. Sie ist ein Prüfstein. Für Apotheken, die ihren Betrieb nicht aus Reflex, sondern aus Strategie heraus führen, markiert sie keinen Wendepunkt, sondern eine Gelegenheit. Wer aufhört, in Kategorien der Erschöpfung zu denken, und beginnt, in Bahnen der Anpassung, Entwicklung und Fachkräftebindung zu handeln, wird keine Angst vor 14,60 € haben. Sondern Angst davor, stehenzubleiben.
Denn die wirkliche Frage lautet nicht: „Wie viel Lohn können wir uns leisten?“ Sondern: „Was kostet es, wenn wir Menschen nicht halten?“
Und diese Rechnung fällt teurer aus, als es jeder gesetzliche Satz je sein könnte.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Denn was in Zahlen formuliert wird, bleibt immer flach, solange es keine Erzählung dazu gibt. Der Mindestlohn mag steigen – aber was steigt damit wirklich? Vielleicht die Frage, wieviel Fürsorge wir als Gesellschaft noch leisten wollen, bevor sie betriebswirtschaftlich delegiert wird. Vielleicht das Bewusstsein, dass Heilberufe mehr sind als Tarifraster. Vielleicht auch das Eingeständnis, dass ein System, das immer nur auf Belastungsgrenzen optimiert, keine Zukunft kennt – sondern nur Gegenwart mit müden Augen.
Die wirkliche Botschaft hinter dieser Zahl liegt nicht im ökonomischen Kalkül, sondern in der stillen Kraft, mit der sie uns prüft: Werden wir zu Techniker:innen der Versorgung – oder bleiben wir Fürsprecher:innen der Verantwortung? Die Apotheken sind an dieser Schwelle keine Opfer. Sie sind Seismografen. Was sich hier zuerst zeigt, wird später woanders beben. Wer die aktuelle Entwicklung nur als Lohnfrage liest, übersieht das Unsichtbare – nämlich den stillen Bedeutungsverlust heilberuflicher Kultur im technokratischen Kostenwesen.
Und so ist es kein Zufall, dass die Debatte um den Mindestlohn gerade jetzt in diese Zeit fällt – in eine Phase, in der alles in Bewegung ist, aber nichts verbunden scheint. Vielleicht ist genau das die Herausforderung: nicht gegen den Lohn zu kämpfen, sondern für die Würde der Arbeit. Nicht um die Zahl zu streiten, sondern um das, was sie verschweigt.
Der Mindestlohn sagt nur, was erlaubt ist. Die Apotheken müssen zeigen, was gerecht ist.
Und manchmal liegt das Revolutionäre nicht in der Forderung – sondern im Verzicht auf Panik.