Fahrer schweigt, Behörde greift durch, Recht setzt Leitplanken

Source: Deutsche Nachrichten
 

Apotheken-News: Bericht von heute

Wenn ein Fahrzeug bei erheblichen Verkehrsverstößen geblitzt wird und der Fahrer nicht festgestellt werden kann, endet die Sache selten mit der Einstellung des Bußgeldverfahrens – sie beginnt neu: mit der Fahrtenbuchauflage gegen den Halter. Genau das bestätigt das VG Gelsenkirchen im Fall eines in Bottrop zugelassenen Pkw, der in Düsseldorf binnen 48 Stunden zweimal auffiel: im Kö-Bogen-Tunnel 9 km/h zu schnell und mit Handy am Ohr, tags darauf im Rheinufertunnel mit 21 km/h Überschreitung. Der Halter schwieg weitgehend, erklärte lediglich per E-Mail, er sei nicht gefahren, benannte aber weder einen konkreten Nutzer noch den möglichen Kreis. Die Behörde ordnete 18 Monate Fahrtenbuch an – rechtmäßig, sagen die Richter: Erheblicher Verstoß plus fehlende zumutbare Mitwirkung rechtfertigt die Auflage; Ermittlungen „ins Blaue hinein“ schuldet die Verwaltung nicht. Zweck der Maßnahme ist präventiv: künftige Täterermittlungen zu sichern und Verantwortung im Halterkreis zu schärfen, nicht zu bestrafen. Für Halter, Flotten und Apotheken-Botendienste heißt das: Fahrerzuordnung, Fristmanagement und Dokumentation müssen sitzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; die Berufungszulassung beim OVG kann beantragt werden.

Der Sachverhalt wirkt unspektakulär und ist doch lehrreich. Ein in Bottrop zugelassenes Fahrzeug wird in Düsseldorf an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geblitzt: einmal im Kö-Bogen-Tunnel mit 9 km/h Überschreitung und Handy am Ohr, tags darauf im Rheinufertunnel mit 21 km/h zu schnell. In beiden Fällen drohen Geldbußen und jeweils ein Punkt im Fahreignungsregister. Der Halter reagiert zunächst nicht auf die Anhörung, legt später Einspruch ein und erklärt per E-Mail, er sei nicht gefahren. Weitere Angaben macht er nicht; das Verfahren wird mangels Fahreridentifizierung eingestellt.

Mit der Einstellung endet die Sache für die Bußgeldstelle nicht. Die Bottroper Behörde ordnet gegenüber dem Halter das Führen eines Fahrtenbuchs für 18 Monate an. Der Halter verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe ja mitgeteilt, nicht gefahren zu sein. Die Behörde hält entgegen, die E-Mail sei zeitlich und inhaltlich nicht eindeutig und vor allem ohne Nennung eines möglichen Fahrerkreises. Entscheidend: Die Aufklärungsbemühungen der Behörde dürfen an der Mitwirkung des Halters ausgerichtet werden; eine Suche „ins Blaue hinein“ ist nicht zumutbar.

Das VG Gelsenkirchen bestätigt die Anordnung. Maßstab ist, ob ein erheblicher Verstoß vorliegt und der Fahrer trotz angemessener und zumutbarer Ermittlungen nicht ermittelt werden konnte. Erheblich ist ein Verstoß jedenfalls dann, wenn neben einer Geldbuße ein Punkt im Fahreignungsregister droht. In solchen Fällen ist der Halter verpflichtet, nach seinen Möglichkeiten zur Aufklärung beizutragen: erkannten Fahrer benennen, den Nutzerkreis eingrenzen, im Umfeld nachfragen und Ergebnisse mitteilen. Wer das erkennbar unterlässt, setzt die Fahrtenbuchauflage faktisch in Gang.

Die Richter betonen zugleich den Zweck der Maßnahme. Das Fahrtenbuch soll die Allgemeinheit schützen und künftige Täterermittlungen erleichtern. Es ist kein Strafersatz, sondern ein präventives Instrument, das die Verantwortlichkeit im Halterkreis schärft. Die Dauer der Auflage orientiert sich an der Schwere des Verstoßes und der Aufklärungsresistenz: Je gravierender und je weniger Mitwirkung, desto länger kann die Anordnung ausfallen. Im konkreten Fall hielten 18 Monate den gerichtlichen Prüfmaßstab.

Für die Praxis ist die Leitlinie klar. Erstens: Schweigen hilft nur begrenzt. Wer lediglich bestreitet, selbst gefahren zu sein, ohne den tatsächlichen oder wahrscheinlichen Fahrer zu benennen oder den Kreis ernsthaft einzugrenzen, erfüllt die Mitwirkungspflicht nicht. Zweitens: Die Behörde muss nicht jede denkbare Spur verfolgen, wenn der Halter keine substanziellen Hinweise liefert. Drittens: Bereits die Kombination aus moderater Geschwindigkeitsüberschreitung und Handyverstoß kann die Schwelle zur Erheblichkeit überschreiten und die Fahrtenbuchauflage tragen.

Besonders relevant ist das für Unternehmen und Apotheken mit Dienst- oder Botenfahrzeugen. Wer mehrere Fahrer einsetzt, braucht belastbare Prozesse: Fahrerzuordnung pro Schicht, kurze Reaktionsfristen auf Anhörungen, zentrale Dokumentation von Schlüsselausgaben und Fahrzeugübergaben. So lässt sich der Nutzerkreis im Ernstfall binnen Tagen eingrenzen. Wer diese Hausaufgaben nicht macht, riskiert ein Fahrtenbuch für den gesamten Fuhrpark – ein bürokratischer Dauerlauf, der Zeit kostet und Fehlerquellen eröffnet.

Für betroffene Halter bleibt die Rechtsmitteloption. Das Urteil ist nicht rechtskräftig; die Zulassung der Berufung kann beim OVG beantragt werden. Gleichwohl setzt die Entscheidung ein deutliches Signal in der Fläche: Die Aufklärungslast ist verteilt – Ermittlungen der Behörde einerseits, zumutbare Mitwirkung des Halters andererseits. Wo die zweite Säule kollabiert, stützt die erste keine grenzenlosen Suchläufe, sondern die Fahrtenbuchauflage. Damit wird Verantwortung dorthin verschoben, wo die Information liegt: beim Halter und seinem organisatorischen Zugriff auf die Fahrzeugnutzung.

Die Quintessenz ist nüchtern und wirksam. Wer den Kreis der Nutzer kennt, muss ihn benennen; wer ihn nicht kennt, muss ihn kennen lernen – durch Verfahren, die den Alltag abbilden: Fahrtenlisten, Schichtpläne, Schlüsselprotokolle, digitale Pooling-Tools. Die Alternative heißt: lange Fahrtenbuchauflagen, die noch mehr Dokumentation erfordern, aber weniger Steuerbarkeit liefern. Prävention ist hier nicht nur schneller, sondern günstiger.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Am Ende entscheidet nicht der Blitz, sondern die Bereitschaft, hinzusehen – und aufzuschreiben, wer wirklich am Steuer sitzt.