Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Ein leerstehendes Wohnhaus, ein vergessener Haupthahn und ein Wasserschaden im Mai 2023 führten vor dem OLG Celle zu einer Grundsatzentscheidung über Obliegenheiten in der Gebäudeversicherung. Der rechtliche Betreuer der Eigentümerin hatte nach deren Umzug ins Pflegeheim die Wasserversorgung nicht abgesperrt. Der Versicherer kürzte daraufhin die Leistung um 80 %, gestützt auf grobe Fahrlässigkeit und die Einstufung als ungenutzt. Die Richter bestätigten zwar die Pflichtverletzung, deckelten aber die Kürzung auf ein Drittel. Das Urteil stellt klar, wann ein Gebäude als ungenutzt gilt und setzt Grenzen für Leistungskürzungen, um den Ausgleich zwischen Sorgfaltspflicht und Versicherungsschutz zu wahren – und erinnert daran, dass manchmal nicht das Gesagte, sondern das, was zwischen den Sätzen liegt, den entscheidenden Unterschied macht.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Juli 2025 (Az.: 11 U 179/24) verdeutlicht, wie fein die Linie zwischen berechtigter Leistungskürzung und unverhältnismäßiger Sanktion im Versicherungsrecht verläuft – und wie stark dies vom präzisen Wortlaut der Versicherungsbedingungen abhängt. Ausgangspunkt war ein erheblicher Wasserschaden in einem Wohnhaus, das nach dem Umzug der Eigentümerin in ein Pflegeheim seit über einem Jahr leer stand. Möbel und Inventar waren größtenteils zurückgeblieben, doch die Nutzung als Wohnraum war erkennbar beendet. Der rechtliche Betreuer hatte das Objekt kurz vor einem Urlaub betreten, jedoch vergessen, die Hauptwasserzufuhr abzusperren und die Leitungen zu entleeren – eine Obliegenheit, die nach Auffassung des Versicherers bei „ungenutzten Gebäuden“ zwingend gilt.
Der Versicherer kürzte die Wohngebäudeversicherungsleistung daraufhin um 80 %. Die Argumentation: Es habe sich um ein ungenutztes Haus gehandelt, die Obliegenheit sei verletzt, und grobe Fahrlässigkeit rechtfertige diese massive Kürzung. Die Klägerseite hielt dagegen, dass die bloße Lagerung von Möbeln bereits eine Nutzung darstelle und daher keine Pflicht zum Absperren bestand. Das Landgericht Hannover folgte zunächst dieser Sicht. Doch in der Berufung setzte sich der Versicherer teilweise durch – das OLG stufte das Haus klar als ungenutzt ein. Maßgeblich sei, dass seit dem Umzug keine Wohnnutzung mehr vorlag und die Rückkehr ausgeschlossen war. Damit bestand die Pflicht, die Wasserversorgung vollständig abzusperren und wasserführende Anlagen zu entleeren.
Damit schien die Ausgangslage für die Klägerin eindeutig, doch das Gericht korrigierte die Schärfe der Sanktion. Zwar bestätigte es die grobe Fahrlässigkeit des Betreuers – immerhin hatte er kurz vor seinem Urlaub das Haus betreten und ohne zwingenden Grund die Leitungen offen gelassen –, doch eine 80-Prozent-Kürzung sahen die Richter als unverhältnismäßig an. Diese entspreche in ihrer Wirkung nahezu einer vollständigen Leistungsfreiheit, die nur bei Vorsatz gerechtfertigt wäre. Eine Kürzung um ein Drittel sei angemessen: Sie spiegele die Schwere des Verschuldens wider, lasse aber Raum für den Versicherungszweck und den Schutz des Eigentums.
Für die Praxis hat das Urteil zwei Signalwirkungen: Zum einen klärt es, dass ein Wohnhaus bereits dann als „ungenutzt“ im Sinne der Gebäudeversicherungsbedingungen gilt, wenn es nach Auszug dauerhaft leer steht und keine Wohnnutzung mehr stattfindet – auch wenn Möbel oder Gegenstände zurückbleiben. Zum anderen stärkt es das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Selbst bei grober Fahrlässigkeit muss die Kürzung in einem vertretbaren Rahmen bleiben. Versicherte und Betreuer sollten gleichwohl aus diesem Fall die Lehre ziehen, die Pflicht zur Absperrung der Wasserversorgung bei Leerstand ernst zu nehmen – nicht nur um den Versicherungsschutz zu sichern, sondern vor allem, um teure Schäden zu vermeiden, deren Beseitigung oft den Zeit- und Kostenrahmen sprengt.
Gerade für Betreuer und Verwalter, die zeitgleich mehrere Objekte im Blick behalten müssen, ist dieses Urteil ein Mahnzeichen: Das Versäumnis einfacher Sicherungsmaßnahmen wie das Zudrehen des Haupthahns kann zwar nicht zu einer vollständigen Enthaftung des Versicherers führen, wohl aber zu erheblichen Einbußen. Für Versicherer wiederum ist es ein Hinweis, dass die Auslegung der Obliegenheiten und die Höhe der Leistungskürzung gerichtlicher Kontrolle unterliegt – und die Gerechtigkeitsabwägung im Einzelfall durchaus zu einem spürbaren Rückschnitt führen kann.
Am Ende steht eine juristisch austarierte Botschaft: Sorgfaltspflichten bleiben ernst zu nehmen, ihre Verletzung bleibt teuer – doch Versicherungsrecht ist kein Instrument zur Strafe, sondern zum Ausgleich von Interessen. Das OLG Celle hat diesen Ausgleich hier neu justiert, indem es die volle Härte des Versicherers abmilderte, ohne die Pflichtseite zu entlasten.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Manchmal entscheidet ein Handgriff über tausende Euro – und über das juristische Gleichgewicht zwischen Pflicht und Schutz. Das Urteil aus Celle zeigt, dass Vergessen teuer werden kann, aber das Recht auch dann nicht blind für Maß und Mitte ist.