Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Der BGH hat klargestellt, dass eine überfällige Haupt- und Abgasuntersuchung nicht automatisch zum Verlust des Anspruchs auf Mietwagenkosten führt. Solange ein Fahrzeug verkehrssicher ist und keine behördliche Nutzungsuntersagung vorliegt, bleibt der Erstattungsanspruch bestehen. Das Urteil beendet eine gängige Kürzungspraxis der Versicherer, stärkt die Position von Geschädigten und setzt ein deutliches Signal für die künftige Regulierungspraxis. Es zwingt Versicherer zu differenzierter Prüfung, schützt Verbraucher vor formalen Fallen und bringt auch für gewerbliche Nutzer wie Apothekenbotendienste eine wichtige Rechtssicherheit. Damit wird das Schadenersatzrecht erneut als Ausgleichsinstrument bestätigt, nicht als Sanktionsmechanismus für Ordnungspflichtverstöße.
Als der Bundesgerichtshof (BGH) im Dezember 2024 sein Urteil zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten trotz überfälliger Haupt- und Abgasuntersuchung (HU) verkündete, war dies mehr als eine bloße Korrektur einer landgerichtlichen Entscheidung – es war ein deutlicher Fingerzeig an Haftpflichtversicherer und ein Lehrstück in der Abgrenzung zwischen Verkehrsrecht, Versicherungsrecht und Schadenersatzlogik. Der Fall, der auf den ersten Blick wie eine Detailfrage aus der täglichen Regulierungspraxis wirkt, entfaltet bei genauer Betrachtung weitreichende Konsequenzen für Geschädigte, Versicherer, Anwälte und nicht zuletzt für die Werkstätten- und Mietwagenbranche.
Ausgangspunkt war ein Verkehrsunfall am 5. November 2018, bei dem der Pkw des Klägers einen Totalschaden erlitt. Die Haftungsfrage war unstreitig: Der Versicherer der Gegenseite musste zahlen. Doch der Streit entzündete sich an einem scheinbar nebensächlichen Detail: Der Wagen des Klägers hatte seine HU seit über sechs Monaten überschritten. Das Landgericht sah darin eine rechtliche Nutzungsbeschränkung und verneinte den Anspruch auf Mietwagenkosten. Begründung: Ohne gültige HU hätte der Kläger sein Fahrzeug selbst ohne Unfall nicht legal nutzen dürfen.
Der BGH widersprach dieser Sicht entschieden. Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVZO führt eine überfällige HU nicht automatisch zu einem Nutzungsverbot – es sei denn, eine Behörde hat explizit eine Untersagung ausgesprochen. Das Landgericht hatte weder ein solches Verbot noch eine konkrete behördliche Maßnahme festgestellt. Entscheidend sei, so der BGH, ob das Fahrzeug verkehrssicher war. Ein Mangel in der Prüfplakette allein könne den Erstattungsanspruch nach § 249 BGB nicht ausschließen. Damit stellte der BGH klar: Die Pflicht zur Hauptuntersuchung dient der Verkehrssicherheit, doch ihr formaler Verzug ist nicht gleichbedeutend mit einem faktischen Stilllegungsgrund.
Diese juristische Klarstellung wirkt wie ein Stoppzeichen für eine Regulierungspraxis, die Versicherer seit Jahren pflegen: die gezielte Suche nach formalen Nebenpflichtverletzungen, um Leistungen zu kürzen oder ganz zu verweigern. Gerade in der Kfz-Haftpflicht ist der Verweis auf angeblich vorbestehende Nutzungsverbote ein beliebtes Instrument, um Kostenpositionen wie Mietwagen oder Nutzungsausfall zu streichen. Mit dem neuen Urteil wird dieser Hebel eingeschränkt.
Historisch betrachtet ist dies nicht der erste Fall, in dem der BGH den Begriff der „Nutzungsunmöglichkeit“ präzisiert. Bereits in den 1990er-Jahren gab es Entscheidungen, in denen der Gerichtshof etwa bei abgelaufenem TÜV oder fehlender Umweltplakette differenzierte: Nur wenn ein gesetzliches oder behördliches Fahrverbot bestand, entfällt der Nutzungsausfallanspruch. In der Praxis bedeutet das, dass Versicherer nun deutlich genauer prüfen müssen, bevor sie pauschal die Zahlung verweigern.
Ein Vergleich mit internationalen Regelungen zeigt, dass Deutschland hier einen eher pragmatischen Kurs fährt. In Großbritannien oder den Niederlanden kann bereits das Fehlen eines gültigen MOT- bzw. APK-Zertifikats zu einem faktischen Nutzungsverbot führen, selbst ohne behördlichen Bescheid. In Frankreich wiederum ist der formale Stempel weniger strikt – hier zählen vor allem die nachweisbare Verkehrssicherheit und die technische Funktionsfähigkeit.
Für die Versicherungswirtschaft hat das Urteil mehrere Folgen. Zum einen entfällt eine gängige Kürzungsargumentation. Zum anderen steigt der Prüfaufwand: Ob ein Fahrzeug verkehrssicher war, lässt sich oft nur durch Sachverständigengutachten belegen – ein zusätzlicher Kosten- und Zeitfaktor in der Schadenregulierung. Für die Mietwagenbranche und deren Kunden könnte das Urteil hingegen zu einer höheren Erstattungssicherheit führen, was die Nachfrage stabilisiert.
Hypothetisch betrachtet, könnte das Urteil auch auf andere Konstellationen wirken: Was gilt bei fehlender Winterbereifung, abgelaufenen Umweltplaketten oder versäumten Software-Updates, die für bestimmte Fahrzeuge vorgeschrieben sind? In allen Fällen wird nun stärker auf die tatsächliche Verkehrssicherheit und die behördliche Anordnung abgestellt – nicht allein auf das Versäumnis als solches.
Juristen betonen, dass das Urteil den Grundgedanken des § 249 BGB stützt: Der Geschädigte soll so gestellt werden, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Formale Pflichtverletzungen, die nicht kausal für die Nutzungseinschränkung sind, dürfen diesen Anspruch nicht entwerten. Versicherer wiederum könnten versuchen, über geänderte Vertragsbedingungen oder Obliegenheiten im Kleingedruckten gegenzusteuern – ein Vorgehen, das Verbraucherschützer bereits im Blick haben.
Für Apothekenbetreiber, Fuhrparkverantwortliche oder andere gewerbliche Nutzer von Fahrzeugen ist das Urteil ebenfalls relevant: Auch im gewerblichen Kontext gilt, dass formale Versäumnisse nicht automatisch zum Verlust von Nutzungsausfall oder Mietwagenersatz führen. Gerade bei Liefer- und Botendiensten kann das den Unterschied zwischen nahtloser Versorgung und kostspieligem Ausfall bedeuten.
Letztlich stärkt der BGH mit dieser Entscheidung das Prinzip, dass Schadenersatzrecht keine Sanktionsinstanz für Ordnungspflichtverletzungen ist, sondern Ausgleich für unfallbedingte Nachteile schaffen soll. Für Betroffene ist dies nicht nur eine juristische, sondern auch eine wirtschaftliche Entlastung.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Manchmal entscheidet nicht der Schaden selbst über das Recht, sondern der Blick darauf, ob der Weg zur Entschädigung frei ist – auch wenn der Stempel längst abgelaufen ist.