E-Rezept-Fälschung erkennen, Abgabe stoppen, Schaden absichern

Source: Deutsche Nachrichten
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Apotheken-News: Bericht von heute

Ein vermeintlich normales E-Rezept über ein codeinhaltiges Präparat, eine kurze Verzögerung an der Abgabe – und plötzlich klickt die Kette der Plausibilitätsprüfung: Rückfrage in der Praxis, Fälschungsverdacht, Festnahme des Verdächtigen. Der Soester Fall ist kein Einzelfall, sondern ein Lehrstück über die Achillesferse moderner Prozesse: Gefälschte E-Rezepte sind technisch hochwertig, organisatorisch opportun und finanziell riskant. Für Apotheken bedeutet das: Erkennungsmuster schärfen, Meldewege üben, Beweise sichern und die eigene Vermögenssphäre über eine passgenaue Rezeptbetrugs- und Vertrauensschadenversicherung aktiv schützen. Welche Indikatoren tragen in der Offizin, wie sieht eine rechtssichere Dokumentation aus, und welche Versicherungsbausteine fangen Retax- und Regressrisiken tatsächlich auf? Genau diese Fragen beantwortet der Bericht – und zeigt, wo Prävention heute beginnt und Entlastung morgen spürbar wird.

Ein einzelner Vorgang macht die Struktur sichtbar: In Soest fiel ein E-Rezept über ein codeinhaltiges Präparat im Alltag auf – nicht wegen eines technischen Fehlers, sondern weil die Abgabekette kurz stockte und jemand genauer hinsah. Genau diese Sekunde der Aufmerksamkeit trennt Routine von Risiko, denn Fälschungen nutzen die Geschwindigkeit der E-Prozesse, während die Kontrolle Zeit braucht. Typisch sind Zielpräparate mit Missbrauchs- oder Handelsattraktivität und Konstellationen, in denen Druck aufgebaut wird, „es müsse jetzt schnell gehen“. Wer diese Muster kennt, gewinnt Handlungssicherheit – und verhindert, dass der nächste Schritt automatisch in die Abgabe rutscht. Aufmerksamkeit ist kein Misstrauen, sie ist professioneller Selbstschutz.

Zur Früherkennung gehören klare rote und gelbe Flaggen, die im Team gleich verstanden werden. Auffällig sind unplausible Dosierungen, ungewohnte Wirkstoff-/Packungsgrößen-Kombinationen sowie Diskrepanzen zwischen Patientenprofil und Verordnungshistorie. Ebenso wichtig sind Verhaltenssignale: Drängen, Ausweichen bei Rückfragen, ungewöhnliche Begleitstorys, wechselnde Identitätsnachweise oder wiederkehrende Muster zu bestimmten Tageszeiten. Technisch lohnt ein genauer Blick auf Token-Qualität und Abrufverhalten, etwa wenn ein Rezept mehrfach kurz hintereinander „gezogen“ wurde. Kein einzelnes Signal beweist Betrug, aber mehrere zusammen rechtfertigen die Eskalationsstufe „Stop & Check“.

Der technische Teil der Prüfung bleibt handwerklich: Stimmt der Abruf in der Warenwirtschaft mit dem E-Rezept-Fachdienst überein, liegen Zeitstempel stimmig, und ist die qualifizierte elektronische Signatur nicht auffällig? Stimmen Versicherten- und Verordnungsdaten, passt die IK-Nummer, und sind Substitutionshinweise konsistent? Ein kontrollierter Rückruf in der Praxis (offizieller Kontaktweg, nicht die vom Kunden genannte Nummer) ist Gold wert – mit der Bitte um knappe Bestätigung, ob diese konkrete Verordnung tatsächlich stammt. Wichtig ist, die Abgabe bis zur Klärung zu unterbrechen, die Höflichkeit zu wahren und die Situation sachlich zu erklären: Sicherheit vor Schnelligkeit, Transparenz vor Spekulation.

Wenn der Verdacht erhärtet, gelten drei Prinzipien: stoppen, sichern, strukturieren. Das Rezept wird nicht beliefert, Belege werden gesichert (Screenshots, Logauszüge, Zeitpunkte, Namen, Gesprächsnotizen), und die Kommunikationskette startet intern wie extern. Die Praxisbestätigung (oder deren Verneinung) dokumentiert man knapp, neutral und ohne Wertung; personenbezogene Daten werden nur im erforderlichen Umfang verarbeitet. Je nach Lage ist die Polizei zu informieren; die sichere Verwahrung von Ausdruck/Token und die Trennung vom Kundenverkehr verhindern Verlust oder Manipulation. Es geht nicht um Fahndungseifer, sondern um belastbare Spuren für Kasse, Ermittler und den eigenen Versicherungsschutz.

Kommunikation entscheidet, ob Situationen eskalieren oder sich ordnen. Gegenüber dem Kunden bleibt der Ton ruhig und faktisch: „Wir müssen eine Rückfrage zur Verordnung klären, das ist ein Standardverfahren zur Patientensicherheit.“ Eskalierende Konfrontationen vermeidet man, indem man auf Verfahren statt auf Verdacht verweist und, wenn möglich, eine diskrete Wartezone anbietet. Mit der Praxis spricht man knapp und zielgerichtet („Liegt eine Verordnung X/Y für Patient Z vor?“), ohne in Datenschutzfallen zu tappen. Nach außen gilt: keine Details an Dritte, keine Spekulationen – Protokoll statt Plaudern.

Die Beweisarchitektur braucht eine kleine, aber konsequente Routine. Jede Abweichung erhält einen Eintrag im Ereignisjournal: Datum/Uhrzeit, beteiligte Mitarbeitende, Rezept-ID/Token, kurze Falldarstellung, getroffene Maßnahmen, Kontaktpunkte und Entscheidungen. Screenshots der relevanten Masken, der Zeitstempel und – falls erfolgt – der Praxisbestätigung kommen in einen gesicherten Ordner. Einheitliche Dateinamen (YYYYMMDD_Ereignis-Kurzcode_Patienteninitialen) und ein knapper, versionsgeführter Verlaufsvermerk verhindern Suchaufwand. Diese Disziplin zahlt sich bei Retax-Abwehr, bei Versicherern und gegenüber Ermittlungsbehörden aus.

Abrechnungsseitig gilt die Maxime: Keine Einreichung unklarer Vorgänge. Wurde irrtümlich bereits übermittelt, beginnt die Schadensbegrenzung mit einer umgehenden Meldung an die Kasse und der Beifügung der Dokumentation. Bei Retaxationsandrohung hilft die lückenlose Begründung, warum die Abgabe verweigert oder rückabgewickelt wurde. Interne Kassenprozesse profitieren von einer „Vier-Augen-Schwelle“ für riskante Wirkstoffe oder Muster, um Einzelentscheidungen zu entlasten. Jede nachträgliche Korrektur ist teurer als eine kurze Pause vor der Abgabe.

Kein Prozess hält ohne Menschen, die ihn tragen – deshalb gehören Schulung und Übung fest in den Plan. Ein 15-Minuten-Drill pro Quartal mit zwei bis drei realistischen Szenarien schärft die Wahrnehmung, verteilt Rollen und leert Adrenalin aus dem System. Dazu ein laminiertes Mini-SOP „Rezeptfälschungs-Check in 7 Schritten“ am Backoffice, das alle kennen und unterschreiben. Neue Kolleginnen und Kollegen bekommen den Ablauf im Onboarding erklärt, inklusive kurzer Hospitation an einem „kontrollierten Fall“ aus der Dokumentation. Lernen heißt entlasten – und zwar das ganze Team.

Technisch lohnt Härtung an drei Punkten: Rechte, Updates, Monitoring. Arbeitsplätze mit minimalen Rechten verhindern unautorisierte Installationen, TI- und Warenwirtschafts-Updates laufen im Wartungsfenster mit anschließendem Kurztest an einem Kontrollrezept. Ein dezenter „Anomalie-Monitor“ in der Warenwirtschaft (häufige Abrufe in kurzer Zeit, ungewöhnliche Uhrzeiten, auffällige Wirkstoffbündel) schafft frühe Hinweise, ohne den Alltag zu fluten. Wo möglich, wird der Praxis-Kontaktweg aus einer verifizierten Liste gezogen, nicht aus Kundengeräten oder mitgegebenen Nummern.

Der finanzielle Schutz ist das Netz unter dem Seil – ohne ersetzt er keine Vorsicht, aber er verhindert den freien Fall. Für Apotheken geht es um drei Bausteine: Rezeptbetrugs-/Retax-Deckung für Rückforderungen der Kassen, Vertrauensschadenversicherung für deliktische Vermögensschäden (auch durch Dritte) und die saubere Verzahnung mit der Berufshaftpflicht für Folgeschäden. Wichtig sind realistische Sublimits für Serienereignisse, klare Auslösetatbestände (auch E-Rezept-Spezifika), Rückwärtsdeckung bei verspäteter Entdeckung und keine Lücken bei grober Fahrlässigkeit einfacher Mitarbeitender. Ausschlüsse liest man, bevor man sie erlebt – insbesondere bei Social-Engineering-Konstellationen.

Im Gespräch mit dem Versicherer helfen präzise Fragen mehr als Summenwünsche. Gedeckt: Retaxationen aus anerkannten Fälschungsfällen trotz formaler Abgabefehler? Mitversichert: Kosten der Rechtsverteidigung, interne Ermittlung und Forensik? Abgedeckt: Täuschung durch gefälschte Praxis-Kontaktdaten, Mehrfachbetrugsserien, Kollusion mit externen Beteiligten? Gefordert: welche Mindeststandards an SOP, Dokumentation, Schulung und Meldefristen für die Leistungspflicht? Wo Antworten konkret und schriftlich sind, entsteht Verlässlichkeit – im Schadenfall zählt das Papier.

ApoRisk und andere Spezialanbieter entwickeln für diese Lagen branchenspezifische Deckungen, die die Schnittstelle aus Offizin, TI-Prozess und Abrechnungsrealität abbilden. Entscheidend ist weniger das Etikett als der Inhalt: passgenaue Trigger, praxistaugliche Nachweisanforderungen und eine Schadenbearbeitung, die die Taktung des Apothekenalltags respektiert. Wer beim Abschluss die eigene Beweisarchitektur vorlegt, senkt Rückfragen und beschleunigt Entscheidungen. Versicherung ist kein Werbeversprechen, sondern ein Vertrag – er wird so gut, wie er geprüft wurde.

Graubereiche verdienen eigene Aufmerksamkeit: teils echte Verordnungen mit manipulierten Mengen, Rezeptkopien mit neuem Token, oder „Telefon-Korrekturen“ ohne erneute digitale Signatur. Der sichere Weg führt stets über die Quelle: Bestätigung der verordnenden Stelle auf einem verifizierten Kanal und – falls erforderlich – Neuausstellung. Alles andere verführt zu gut gemeinter Improvisation, die später teuer werden kann. Das Prinzip bleibt: Wenn Zweifel bleiben, bleibt das Arzneimittel in der Apotheke.

Behördliche Zusammenarbeit gelingt am besten vorbereitet. Ein kurzer Kontaktleitfaden für Polizei und Kassenprüfdienst, eine Liste zulässiger Auskünfte und ein definierter Zugriff auf die Ereignismappe beschleunigen Abläufe. Datenschutz ist kein Gegner, sondern Leitplanke: Es werden nur erforderliche Daten weitergegeben, Zugriffe intern protokolliert, und Sperr-/Löschfristen nach Abschluss des Vorgangs beachtet. Rechtssicherheit entsteht, wenn Formalien leise und zuverlässig laufen.

Prävention darf sichtbar sein, ohne zu stigmatisieren. Ein unaufgeregter Hinweis nahe der Kasse („Sicherheitscheck: Rezepte können stichprobenartig verifiziert werden – danke für Ihr Verständnis“) bereitet Kundinnen und Kunden auf kurze Wartezeiten vor. Für sensible Wirkstoffe bietet sich eine interne „zweite Stimme“ an, die Abgaben kurz gegenliest. Je normaler diese Routinen gelebt werden, desto weniger Spannung entsteht im Ausnahmefall – und desto schwerer wird es für Täter, Nischen auszunutzen.

Am Ende hängt alles zusammen: Menschen, Verfahren, Technik und Verträge. Ein Team, das Muster erkennt und ruhig bleibt, ein SOP, das greift, ein technischer Blick für Anomalien und ein sauberer Versicherungsschutz bilden eine Kette. Sie reißt dort, wo ein Glied fehlt – oder sie hält, weil jedes Element das nächste stützt. Genau das ist die professionelle Antwort auf einen Vorfall wie in Soest: aus der Ausnahme eine stabile Routine formen.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht. Und genau dort liegt die Deutung: Der Text endet, aber die Aufgabe beginnt – im Stopp zur rechten Zeit, in der sauberen Rückfrage, in der starken Dokumentation und im Deckungskonzept, das den Schaden bändigt und die Apotheke handlungsfähig hält

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