Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Wenn die Technik schwankt, die Strukturen gefordert sind, Prüfungen anstehen und individuelle Versorgung Gesichter bekommt, zeigt sich, wie komplex die Realität im Gesundheitswesen geworden ist: Zwei gravierende TI-Ausfälle legten in der ersten Augustwoche E-Rezepte lahm und machten deutlich, wie verletzlich die digitale Infrastruktur bleibt, wenn Arztpraxen und Apotheken im Alltag handlungsunfähig werden. Parallel experimentieren Zusammenschlüsse wie „Die starke Apotheke“ mit Verbundlagern und Apps, um die Sichtbarkeit von Beständen und die Kundenbindung zu sichern, und verdeutlichen damit, dass Kooperation zur Antwort auf Liefer- und Wettbewerbsdruck wird. Während in Sachsen-Anhalt über tausend Studierende der Medizin, Pharmazie und Psychotherapie ihr Examen ablegen und so den dringend benötigten Nachwuchs sichern sollen, zeigt die Arbeit einer Apothekerin in Neubrandenburg, dass Versorgung immer auch Empathie bedeutet: Wohlfühlboxen für Krebspatienten geben Normalität zurück und verankern die Botschaft, dass Therapie ohne Menschlichkeit unvollständig bleibt.
Führung braucht Klarheit, Patientenversorgung braucht Kooperation, Profession braucht gegenseitiges Lernen
Wie Apotheker neue Impulse aus der ärztlichen Praxis aufnehmen, Versorgungssicherheit stärken und professionelles Rollenverständnis schärfen
Wenn Ärzte und Apotheker im Gesundheitssystem aufeinandertreffen, geschieht dies oft unter den Vorzeichen einer historisch gewachsenen Arbeitsteilung: hier die ärztliche Diagnose, dort die pharmazeutische Beratung und Abgabe. Doch gerade in Zeiten wachsender Versorgungslücken und steigender Anforderungen an interdisziplinäre Kooperation lohnt sich die Frage, welche Elemente der ärztlichen Praxis für Apotheker als Vorbild dienen können – nicht als Abwertung der eigenen Profession, sondern als Bereicherung. Denn Lernen über Berufsgrenzen hinweg bedeutet nicht, sich zu unterwerfen, sondern die eigene Rolle durch Vergleich, Reflexion und Anpassung zu stärken.
Ein erster Blick fällt auf den Bereich der Kommunikation mit Patienten. Ärztinnen und Ärzte haben in ihrer Ausbildung und Praxis vielfach ein hohes Maß an Gesprächsführungskompetenz entwickelt. Sie müssen in kurzer Zeit Anamnese, Diagnostik und Therapieempfehlung vermitteln, gleichzeitig Vertrauen schaffen und auf emotionale Reaktionen eingehen. Apotheker erleben zwar ähnliche Momente in der Offizin, doch der Erwartungshorizont ist ein anderer: häufig geht es um die Erklärung von Einnahmeregeln, Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen. Hier könnte die systematische Schulung in Gesprächstechniken, wie sie in der ärztlichen Ausbildung zum Standard gehört, ein wertvoller Gewinn für die pharmazeutische Praxis sein. Nicht, weil Apotheker bislang unzureichend kommunizieren, sondern weil die Strukturierung ärztlicher Gespräche methodische Ankerpunkte liefert, die auch im Beratungsgespräch hinter dem HV-Tisch von Vorteil sein können.
Ein zweites Feld liegt in der klaren Rollendefinition. Ärztinnen und Ärzte treten in der Regel mit einem hohen Bewusstsein für ihre Rolle als verantwortliche Entscheidungsträger auf. Das erzeugt eine Erwartungshaltung bei Patienten: Hier wird entschieden, hier wird gehandelt. Apothekerinnen und Apotheker dagegen befinden sich häufiger in der Position, eine ärztliche Entscheidung zu begleiten, zu erläutern oder in Einzelfällen zu hinterfragen. Gerade deshalb könnte das ärztliche Rollenverständnis – mit seiner klaren Betonung von Verantwortlichkeit – ein Impuls sein, die pharmazeutische Rolle stärker zu akzentuieren: als eigenständiger Gesundheitsakteur, nicht nur als ausführender Dienstleister. Der Schritt, pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) selbstbewusst zu vertreten, wird so nicht als Abgrenzung, sondern als logische Konsequenz eines klar gefassten Berufsbilds verstanden.
Auch die ärztliche Teamorganisation bietet Anknüpfungspunkte. In vielen Praxen gehört es zum Alltag, Aufgaben im Team klar zu delegieren und Prozesse strukturiert zu dokumentieren. Apothekerinnen und Apotheker haben zwar ebenfalls hoch eingespielte Teams, doch die interne Delegationskultur könnte an manchen Stellen von ärztlichen Strukturen profitieren. Beispielsweise, indem Verantwortlichkeiten für Medikationsanalysen, Impfberatungen oder Botendienste klarer verteilt und dokumentiert werden. Transparente Teamstrukturen schaffen nicht nur Effizienz, sondern erleichtern auch die rechtliche Absicherung und verringern Konfliktpotenzial.
Hinzu kommt die ärztliche Praxis, im Spannungsfeld zwischen individuellen Patientenbedürfnissen und systemischen Vorgaben Entscheidungen zu treffen. Ärzte sind es gewohnt, unter Budgetrestriktionen, Leitlinien und Wirtschaftlichkeitsvorgaben zu agieren – und dennoch Verantwortung zu übernehmen. Apotheker sehen sich zunehmend ähnlichen Konflikten ausgesetzt, etwa bei Lieferengpässen, Rabattverträgen oder Beratung unter Zeitdruck. Hier könnten Strategien aus der ärztlichen Praxis Orientierung geben, wie man Dilemmata transparent kommuniziert, Entscheidungen dokumentiert und gleichzeitig die Beziehung zum Patienten aufrechterhält.
Es bleibt die Frage nach den Grenzen: Wo endet die Inspiration, wo beginnt die Gefahr, das eigene Berufsprofil zu verwässern? Genau hier liegt die eigentliche Chance des interprofessionellen Lernens. Denn wer sich klar macht, was er vom anderen übernehmen kann, muss ebenso klar benennen, was das eigene unverwechselbare Profil ausmacht. Apotheker können ärztliche Gesprächsführung adaptieren, ohne die pharmazeutische Beratungskompetenz zu relativieren. Sie können ärztliche Rollenklarheit aufgreifen, ohne ihre Verantwortung auf Therapieentscheidungen auszudehnen. Sie können ärztliche Teamorganisation übernehmen, ohne die Besonderheit apothekenspezifischer Prozesse zu verlieren. Lernen von Ärzten heißt daher nicht Nachahmen, sondern Übersetzen in den eigenen Kontext.
Insgesamt zeigt sich: Die größte Stärke des ärztlichen Systems liegt nicht in unfehlbaren Entscheidungen, sondern in der Fähigkeit, trotz Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben. Für Apotheker ist das eine wertvolle Lektion. Denn auch in der Offizin geht es täglich darum, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen – sei es bei der Beurteilung einer Selbstmedikation, der Beratung zu Wechselwirkungen oder der Abgabe eines nicht lieferbaren Präparats. Wer in solchen Momenten ärztliche Strategien der Klarheit und Verantwortung aufgreift, macht aus fremden Erfahrungen eine eigene Ressource.
Gerade darin liegt der eigentliche Kern: Apotheker können von Ärzten lernen, wie man mit Unsicherheit professionell umgeht, wie man Verantwortung sichtbar trägt und wie man Rollenbilder nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung versteht. Das stärkt nicht nur die eigene Berufsidentität, sondern auch die interdisziplinäre Versorgung insgesamt.
Verwaltung braucht Tempo, Patientenversorgung braucht Verlässlichkeit, Digitalisierung braucht klare Standards
Wie Krankenkassen mit digitalen Überweisungen Prozesse beschleunigen, Versorgungssicherheit sichern und neue Spielräume im Gesundheitssystem eröffnen
Wenn von Digitalisierung im Gesundheitssystem die Rede ist, stehen häufig E-Rezept, elektronische Patientenakte oder Telemedizin im Fokus. Weniger beachtet, aber nicht minder relevant, ist die digitale Überweisung: ein Instrument, das im Schatten der großen Projekte entsteht, jedoch erhebliches Potenzial birgt, Abläufe zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Krankenkassen zu straffen. Denn wer Prozesse an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und medizinischer Versorgung beschleunigt, wirkt direkt auf Wartezeiten, Planbarkeit und Versorgungsqualität ein.
Krankenkassen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sind nicht nur Finanzierer, sondern auch Steuerer von Prozessen. Analoge Überweisungen erzeugen lange Wege: Patienten holen das Papier in der Arztpraxis ab, reichen es weiter oder verlieren es auf dem Weg zum nächsten Termin. Digitale Überweisungen dagegen könnten mit einem Knopfdruck an das Krankenhaus, den Facharzt oder die Therapieeinrichtung gehen – fehlerfrei, dokumentiert und jederzeit abrufbar. Das klingt trivial, bedeutet aber im Alltag eine tiefgreifende Veränderung: weniger Doppeluntersuchungen, schnellere Terminvergabe, bessere Koordination.
Doch damit dieses Potenzial wirksam wird, müssen Standards definiert und eingehalten werden. Genau hier zeigt sich das Dilemma: Die eine Krankenkasse setzt auf eine proprietäre Lösung, die andere auf eine Plattform im Verbund mit ärztlichen Softwarehäusern. Patienten werden so zu Schnittstellen-Managern, die selbst herausfinden müssen, ob die digitale Überweisung im Zielsystem ankommt. Das zeigt: Digitalisierung ohne klare Normen läuft Gefahr, die alten Brüche des analogen Systems zu reproduzieren – nur in digitaler Geschwindigkeit.
Für Apotheken könnte das Thema indirekt relevant werden. Schon jetzt zeigt sich, dass digitale Überweisungen und E-Rezepte gemeinsam gedacht werden müssen. Wer eine digitale Überweisung zum Facharzt erhält und anschließend ein E-Rezept mit nach Hause nimmt, erwartet eine nahtlose Prozesskette. Kommt es hier zu Brüchen, leidet nicht nur die Akzeptanz bei Patienten, sondern auch das Vertrauen in Apotheken, die als „letzte Station“ der Versorgung sichtbar sind. Deshalb ist es im ureigenen Interesse der Offizin, die Diskussion um digitale Überweisungen aufmerksam zu verfolgen und sich einzubringen, wenn Schnittstellen zu Apotheken-Software betroffen sind.
Ein weiteres Spannungsfeld liegt in der Frage der Datensicherheit. Überweisungsdaten enthalten sensible Informationen zu Diagnosen und geplanten Behandlungen. Während das E-Rezept technisch bereits hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt, befinden sich digitale Überweisungen noch in einer Phase der Pilotierung und Normierung. Jede Unsicherheit in diesem Bereich kann schnell zum Akzeptanzproblem werden. Die Krankenkassen stehen deshalb unter Druck, nicht nur praktikable, sondern auch rechtssichere Lösungen anzubieten. Patienten müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten nicht auf Umwegen in falsche Hände geraten.
Hinzu kommt die politische Dimension. Die Bundesregierung hat die Beschleunigung administrativer Prozesse im Gesundheitswesen zu einer Priorität erklärt. Digitale Überweisungen stehen damit im Kontext einer größeren Strategie, Verwaltungskosten zu senken und Abläufe effizienter zu gestalten. Für die Kassen bedeutet dies, Investitionen zu tätigen, Pilotprojekte zu evaluieren und mit ärztlichen Verbänden Lösungen auszuhandeln. Gleichzeitig müssen sie vermeiden, dass die Digitalisierung zum Selbstzweck wird. Denn was am Ende zählt, ist die Versorgungsqualität: schnellerer Zugang zum Facharzt, verlässliche Planung operativer Eingriffe, bessere Dokumentation für alle Beteiligten.
Die Frage ist daher weniger, ob digitale Überweisungen kommen, sondern wie schnell und in welcher Form. Je länger die Fragmentierung anhält, desto größer wird die Gefahr von Parallelstrukturen. Patienten und Leistungserbringer brauchen jedoch Klarheit: ein einheitlicher Standard, verbindlich für alle Kassen, kompatibel mit Praxis- und Kliniksoftware. Ohne diesen Schritt bleibt die Digitalisierung Stückwerk.
Schließlich bleibt der Blick auf das größere Ganze: Digitale Überweisungen sind kein Selbstzweck, sondern Teil eines umfassenden Kulturwandels im Gesundheitssystem. Sie stehen für den Versuch, Verwaltung und Versorgung enger zu verzahnen, Medienbrüche zu vermeiden und Patienten von Bürokratie zu entlasten. Ob dieses Ziel gelingt, hängt nicht allein von Technik ab, sondern von der Bereitschaft, Standards zu vereinbaren, Verantwortlichkeiten klar zu benennen und auch die Perspektive der Patienten ernst zu nehmen. Krankenkassen sind hier nicht Beobachter, sondern aktive Gestalter – und sie werden an ihren Ergebnissen gemessen.
Ausbildung verlangt Präzision, Prüfungen verlangen Ausdauer, Approbation verlangt Verantwortung
Wie angehende Pharmazeuten in Sachsen-Anhalt den Sommer mit Prüfungen beenden, welche Hürden sie meistern müssen und wie der Weg zur Approbation gesichert wird
Das Ende des Sommersemesters markiert für viele Studierende keinen entspannten Übergang in die Ferien, sondern die härteste Phase des akademischen Jahres: die Prüfungszeit. In Sachsen-Anhalt bedeutet dies für mehr als eintausend junge Menschen, dass sie den Weg zum Arzt-, Psychotherapeuten- oder Pharmazieexamen beschreiten. Für die Pharmazie stehen 101 Kandidatinnen und Kandidaten auf der Liste – eine Zahl, die nüchtern wirkt, aber für die Gesundheitsversorgung des Landes entscheidend ist. Denn jeder Absolvent trägt später Verantwortung für Beratung, Abgabe und Sicherheit von Arzneimitteln.
Die Prüfungen selbst sind streng reglementiert. Sie erfolgen am Ende verschiedener Ausbildungsstufen – in der Medizin nach dem zweiten, fünften und sechsten praktischen Jahr, in der Pharmazie nach abgeschlossenem Studium. Geprüft werden nicht nur Fachwissen und methodisches Können, sondern auch die Fähigkeit, komplexe Informationen unter Druck zu verarbeiten und patientenorientierte Entscheidungen zu treffen. Gerade für angehende Pharmazeuten gilt: Wer sich durch die schriftlichen und mündlichen Prüfungen arbeitet, beweist nicht nur Lernleistung, sondern auch Belastbarkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Statistisch beantragen jedes Jahr rund 380 Absolventinnen und Absolventen aus allen Gesundheitsberufen in Sachsen-Anhalt die Approbation. In der Pharmazie waren es im vergangenen Jahr 101, im aktuellen Durchgang dürfte die Zahl ähnlich sein. Dahinter verbirgt sich eine stille Konstanz, die oft unterschätzt wird: Während die öffentliche Diskussion über Ärztemangel und fehlende Hausarztpraxen laut geführt wird, bleibt die stabile Zahl der Pharmazeutenprüfungen ein Garant dafür, dass Apotheken im Land weiterhin mit Fachkräften versorgt werden.
Für die Studierenden bedeutet die Prüfungsphase allerdings mehr als Statistik. Sie ist der Kulminationspunkt jahrelanger Ausbildung. Wer im Labor gestanden, Rezepturen hergestellt und sich mit Pharmakologie, Toxikologie und pharmazeutischer Technologie auseinandergesetzt hat, muss nun beweisen, dass Theorie und Praxis zusammenfinden. Der Druck ist hoch, Fehler können nicht kompensiert werden. Ein nicht bestandener Versuch zieht erhebliche Verzögerungen nach sich und kann den Karriereweg gefährden.
Besonders in der Pharmazie zeigt sich, dass Prüfungen nicht nur individuelles Wissen abfragen, sondern eine Schutzfunktion für die Gesellschaft erfüllen. Patienten verlassen sich darauf, dass in Apotheken nur Personen arbeiten, die den komplexen Umgang mit Arzneimitteln beherrschen. Insofern ist die Prüfungsordnung mehr als ein formales Ritual – sie ist eine Sicherheitsarchitektur im Gesundheitswesen. Genau hier wird der Übergang von akademischer Ausbildung zu praktischer Verantwortung sichtbar.
Auch strukturelle Fragen treten in den Vordergrund: Reichen die vorhandenen Studienplätze aus, um die künftige Versorgung zu sichern? Welche Rolle spielt die Anerkennung ausländischer Abschlüsse, wenn inländische Absolventenzahlen stagnieren? Und wie verändert die Digitalisierung, etwa durch elektronische Prüfungsformate oder virtuelle Lernräume, den Charakter der Leistungsbewertung? Antworten darauf werden die kommenden Jahre liefern müssen.
Eines bleibt jedoch klar: Für die angehenden Pharmazeuten in Halle oder Magdeburg entscheidet sich in diesen Tagen, ob sie das Rüstzeug erhalten, um in den Apotheken des Landes Verantwortung zu übernehmen. Die Approbation ist dabei nicht nur ein formales Dokument, sondern ein Vertrauensbeweis der Gesellschaft. Wer sie erhält, tritt in einen Beruf ein, der unter wachsendem Druck steht – wirtschaftlich, regulatorisch und in der Erwartung, zugleich Dienstleister und Heilberufler zu sein.
Gerade deshalb gilt es, die Prüfungsphase nicht nur als Belastung für die Studierenden zu sehen, sondern auch als Investition in die Stabilität der Versorgung. Jeder bestandene Abschluss stärkt die Strukturen im Gesundheitswesen, jeder Misserfolg zeigt Lücken auf, die geschlossen werden müssen. Am Ende bleibt für alle Beteiligten die Erkenntnis: Ausbildung verlangt Präzision, Prüfungen verlangen Ausdauer – und die Approbation verlangt Verantwortung, die weit über den Hörsaal hinausreicht.
Onkologie fordert Nähe, Therapie fordert Vertrauen, Normalität fordert Gesten
Wie eine Apothekerin Krebspatienten mit individuellen Boxen unterstützt, welche Rolle persönliche Zuwendung neben Zytostatika spielt und warum Versorgung mehr ist als Chemie
Wenn Juliane Peschel erzählt, klingt ihre berufliche Laufbahn wie ein roter Faden, der von den sterilen Räumen der Zytostatikaherstellung bis in den persönlichen Alltag schwerkranker Menschen reicht. Die Neubrandenburger Apothekerin hat einst selbst Zytostatika angefertigt, hochwirksame Substanzen, die Leben retten und zugleich enorme Belastungen für Patienten bedeuten. Heute führt sie eine eigene Apotheke, die mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum eng zusammenarbeitet. Doch Peschel beschränkt sich nicht auf die reine Arzneimittelversorgung. Ihr Projekt: individuell zusammengestellte „Wohlfühlboxen“, die Krebspatientinnen und Krebspatienten ein Stück Normalität zurückgeben sollen.
In diesen Boxen steckt mehr als Kosmetik oder ein Tee gegen Übelkeit. Sie sind Symbole einer Haltung: dass Therapie nicht allein durch Infusionen und Tabletten getragen wird, sondern durch das Gefühl, als Mensch wahrgenommen zu werden. Peschel und ihr Team überlegen, welche Bedürfnisse jenseits der medizinischen Leitlinien bestehen. Hautpflege für durch Chemo beanspruchte Haut, kleine Dinge, die Trost spenden, oder Alltagsprodukte, die den Klinikaufenthalt erträglicher machen – jeder Inhalt ist individuell. Das erfordert Zeit, Aufmerksamkeit und ein Gespür für Zwischentöne, die in der klinischen Routine oft verloren gehen.
Dass eine Apothekerin diesen Weg wählt, ist zugleich ein Signal in die Branche. Apotheken sehen sich zunehmend als Dienstleister im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlichem Druck und heilberuflicher Verpflichtung. Projekte wie die Wohlfühlboxen zeigen, dass Heilberuflichkeit mehr bedeutet, als Packungen abzugeben oder Interaktionen im Rezept zu prüfen. Es geht um ein erweitertes Verständnis von Versorgung: Medikamente als Grundlage, aber Empathie als Verstärker.
Für die Patienten kann das kleine Paket eine immense Wirkung entfalten. Wer mitten in einer Chemotherapie steht, verliert häufig die Orientierung zwischen Nebenwirkungen, Terminen und Ängsten. Ein liebevoll zusammengestelltes Päckchen kann in diesem Moment mehr leisten als jede sterile Klinikbroschüre. Es verleiht dem Patienten die Botschaft: Du bist mehr als deine Krankheit, du bist mehr als deine Therapie. In einer Zeit, in der Versorgungssysteme Effizienz und Standardisierung priorisieren, gewinnen solche Gesten an Gewicht.
Auch gesundheitspolitisch lässt sich daraus eine Frage ableiten: Sollten solche individuellen Unterstützungsangebote Teil eines regulären Versorgungskonzepts sein? Die Diskussion über pharmazeutische Dienstleistungen hat bereits gezeigt, dass Apothekerinnen und Apotheker bereit sind, über die traditionelle Arzneimittelabgabe hinauszugehen. Blutdruckmessen, Medikationsanalysen, Impfungen – all das ist längst im Leistungskatalog angekommen. Doch was Peschel praktiziert, geht noch weiter: Es ist eine Rückkehr zu einer patientenzentrierten Idee, die nicht durch Verordnungen abgedeckt ist, sondern durch Haltung und Berufsethos getragen wird.
Natürlich bleibt auch die ökonomische Dimension nicht aus. Wohlfühlboxen lassen sich nicht abrechnen, sie kosten Zeit und Geld. Doch sie können mittelbar Bindung schaffen: Patienten, die sich gesehen fühlen, kommen wieder, vertrauen und bauen langfristige Beziehungen auf. Für eine Apotheke im Wettbewerb ist dies mehr als nur Imagepflege. Es ist ein Investment in das, was kein Algorithmus ersetzen kann – Vertrauen.
Die Geschichte von Juliane Peschel zeigt exemplarisch, wie Versorgung sich weiterentwickeln kann, wenn Einzelne bereit sind, ihre Rolle neu zu definieren. Sie erinnert daran, dass gerade in der Onkologie Technik und Empathie Hand in Hand gehen müssen. Zytostatika können Tumore verkleinern, aber sie können nicht allein Angst lindern. Dafür braucht es Menschen, die hinschauen, zuhören und handeln.
In der Summe ist das Projekt ein leiser, aber wirkungsvoller Protest gegen eine Gesundheitslandschaft, die allzu oft in Prozessen und Budgets denkt. Peschel beweist: Nähe und Vertrauen sind kein Zusatz, sondern ein essenzieller Teil der Therapie. Und Normalität entsteht nicht durch Leitlinien, sondern durch Gesten, die aus dem Alltag entlehnt sind – und in den Alltag zurückführen.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht. (Die TI-Störungen zeigen die Verletzlichkeit der Infrastruktur, die Kooperation im Verbund verdeutlicht strukturelle Stärke, die Prüfungen sichern den Nachwuchs, und die onkologische Fürsorge beweist, dass Versorgung ohne Menschlichkeit unvollständig bleibt.)
Tagesthemenüberblick: https://aporisk.de/aktuell