Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Wenn Grundfähigkeiten wie Knien oder Bücken in einer Versicherungspolice festgeschrieben sind, entscheidet oft eine Nuance im Wortsinn über existentielle Leistungen – für Selbstständige, aber auch für Betriebe wie Apotheken, die auf Rechtssicherheit angewiesen sind. Das Oberlandesgericht Köln stellte klar, dass „aus eigener Kraft“ nicht den Rückgriff auf Hilfsmittel umfasst, sondern nur die Fähigkeit, sich ohne Stützen wieder aufzurichten. Diese Klarstellung entzieht Versicherern einen oft missbrauchten Spielraum und stärkt die Position von Versicherten im Leistungsfall. Für Apothekenbetreiber ergibt sich daraus ein zweifacher Lerneffekt: Einerseits wird deutlich, wie wichtig eine präzise Vertragsprüfung vor Abschluss von Berufsunfähigkeits- oder Grundfähigkeitsversicherungen ist. Andererseits zeigt der parallel verhandelte Insolvenzfall, wie schnell eine vermeintlich gesicherte Rente in das Vermögen der Gläubiger gezogen werden kann, wenn kein ausreichender Pfändungsschutz greift. Wer als Apothekenleiter über Haftungsrisiken, Personalausfall oder eigene Erkrankung nachdenkt, muss Verträge so gestalten, dass sie im Krisenfall tatsächlich leisten, und gleichzeitig sicherstellen, dass Renten oder Entschädigungen nicht durch Insolvenzverfahren gefährdet werden. Das Urteil verdeutlicht, dass der Maßstab für die Auslegung von Versicherungsbedingungen nicht der Jurist am Schreibtisch ist, sondern das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers – eine Perspektive, die auch Apotheken für sich konsequent einfordern sollten.
Das Oberlandesgericht Köln hat mit Beschluss vom 11. Juli 2025 (20 U 163/23) in einem Grundsatzfall entschieden, dass Versicherer die Klausel „aus eigener Kraft“ nicht mehr eng zu ihren Gunsten auslegen dürfen. Ein 1960 geborener Selbstständiger hatte seit 2019 Leistungen aus seiner Grundfähigkeitsversicherung beansprucht. Versichert war die Fähigkeit, sich kniend oder bückend auf den Boden zu begeben und anschließend wieder selbständig aufzurichten. Der Mann litt an fortgeschrittener Kniearthrose und einem Bandscheibenvorfall, die ihn an dieser Bewegung dauerhaft hinderten. Während der Versicherer argumentierte, dass Hilfsmittel wie ein fester Griffpunkt noch ein Aufrichten ermöglichten und daher keine Leistungspflicht bestehe, folgte das Gericht dieser strengen Sicht nicht.
Die Richter stellten klar: „Aus eigener Kraft“ bedeutet nach dem allgemeinen Sprachverständnis ohne Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe. Diese Auslegung sei für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer die naheliegende Interpretation, während eine andere Sichtweise dem erkennbaren Sinnzusammenhang widerspreche. Damit bestätigte das OLG die Vorinstanz und verpflichtete den Versicherer zur Rentenzahlung sowie zur Erstattung der seit 2019 gezahlten Beiträge. Entscheidend war die Überzeugungskraft des gerichtlichen Sachverständigen, der eine funktionelle Einschränkung weit über das altersentsprechende Maß hinaus feststellte und die Schilderungen des Klägers für glaubwürdig hielt.
Für Apotheken ist dieses Urteil in zweierlei Hinsicht relevant. Erstens verdeutlicht es, wie sehr sich Versicherer im Leistungsfall auf eine enge Interpretation von Vertragsklauseln stützen und wie wichtig eine vorausschauende Vertragsprüfung ist. Ob Berufsunfähigkeits-, Grundfähigkeits- oder Inhaltsversicherung – wer Formulierungen wie „aus eigener Kraft“, „dauerhaft“ oder „wesentlich“ akzeptiert, begibt sich in eine Grauzone, die im Ernstfall teuer werden kann. Zweitens zeigt der Fall, dass Versicherungsleistungen durch Insolvenzverfahren gefährdet werden können. Während der Kläger auf seine Grundfähigkeitsrente angewiesen war, versuchte der Insolvenzverwalter, diese in die Masse einzubeziehen. Zwar erkannte das Gericht den Pfändungsschutz nach § 850b ZPO, doch musste der Kläger fürchten, dass die Rente nicht vollständig für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung steht.
Gerade Apothekenbetreiber, die unternehmerische Verantwortung und persönliche Haftung tragen, müssen in ihrer Versicherungsplanung berücksichtigen, dass Renten und Absicherungen nicht automatisch insolvenzfest sind. Ohne klare Schutzmechanismen – etwa durch gezielte Vertragsgestaltung oder ergänzende Rechtsschutzlösungen – kann eine vermeintlich gesicherte Leistung in der Krise wertlos werden. Hinzu kommt, dass die Versicherer erfahrungsgemäß dazu neigen, gerade bei komplexen Grundfähigkeits- oder Berufsunfähigkeitsfällen Gutachten anzuzweifeln und den Leistungsfall hinauszuzögern. Für Apotheken, die auf planbare Liquidität angewiesen sind, bedeutet das nicht nur ein finanzielles Risiko, sondern auch eine erhebliche psychische Belastung.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht. Apotheken lernen daraus, dass Versicherungsschutz nur dann trägt, wenn Vertragsformulierungen im Sinne des Kunden ausgelegt werden und Pfändungsschutz im Ernstfall wirklich greift. Zukunftssicherheit entsteht nicht durch Vertrauen auf allgemeine Geschäftsbedingungen, sondern durch präzise Vertragsgestaltung, rechtliche Prüfung und die feste Verankerung von Schutzmechanismen, die im Ernstfall bestehen bleiben.