Source: Deutsche Nachrichten
Apotheken-News: Bericht von heute
Ein Wohnungsbrand in einer umgebauten Gastwirtschaft, 17 zerstörte Sofas und ein Schadensbetrag von über 350.000 Euro bilden den Auftakt zu einem Rechtsstreit, der das Spannungsfeld zwischen Versicherungsinteresse und Verbraucherrechten neu vermisst. Während das Landgericht Detmold dem Versicherungsnehmer zunächst recht gab und die Aufklärungs- sowie Mitwirkungspflichten als erfüllt ansah, kippte das OLG Hamm das Urteil und erklärte den Versicherer für leistungsfrei – nicht wegen erwiesener Brandstiftung, sondern aufgrund einer arglistigen Verletzung der Pflicht zur Beantwortung umfassender Fragebögen. Diese Entscheidung verschiebt die Gewichte deutlich zugunsten der Versicherer und zwingt Versicherungsnehmer zu einer umfassenden und vorbehaltlosen Kooperation, um ihre Ansprüche nicht zu gefährden. Mit der anstehenden BGH-Entscheidung steht nun nicht nur das Schicksal des Klägers auf dem Spiel, sondern auch ein möglicher Präzedenzfall, der die Grenzen der Obliegenheiten im Versicherungsrecht für Jahre prägen könnte.
Es ist ein Fall, der schon beim ersten Lesen mehr Fragen als Antworten aufwirft – und genau darin liegt sein juristischer Reiz. In einer ehemaligen Gastwirtschaft, die ein Mann zu Wohnzwecken umbaute, bricht im Frühjahr 2019 ein Feuer aus. Die Bilanz: ein ungewöhnlich hoher Schaden, darunter 17 überwiegend hochwertige Sofas, die laut Versicherungsnehmer im Flammeninferno vernichtet wurden. Der Gesamtschaden soll sich auf über 350.000 Euro belaufen. Schon diese Zahl weckt das erste Stirnrunzeln – bei Außenstehenden, bei Versicherern und bei Gerichten.
Der Versicherer reagierte skeptisch, vermutete eine vorsätzliche Brandstiftung und suchte nach Beweisen. Ein auf Brandbeschleuniger spezialisierter Spürhund schlug nicht an. Der entscheidende Hebel wurde dann aber nicht im Bereich der Brandursache gefunden, sondern im Kleingedruckten: dem Katalog der Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten des Versicherungsnehmers. Die Versicherung behauptete, der Mann habe sich geweigert, umfangreiche, ihm zugesandte Fragebögen auszufüllen – und betrachtete sich deshalb als leistungsfrei.
Vor dem Landgericht Detmold wendete sich das Blatt zunächst zugunsten des Versicherungsnehmers. Das Gericht hielt fest, dass die behauptete Brandstiftung nicht erwiesen sei. Auch eine völlige Leistungsfreiheit aufgrund nicht ausgefüllter Fragebögen verneinte es: Die Auskunftspflicht sei zwar bindend, aber nicht grenzenlos. Die Versicherung habe bereits über genügend Informationen verfügt, um den Fall zu bewerten.
Doch das OLG Hamm entschied anders. Mit bemerkenswerter Klarheit stellte es fest, dass allein der Versicherer definiere, welche Informationen er für seine Leistungsentscheidung als erforderlich ansieht – und dass dazu auch Fragen gehören können, die auf eine mögliche finanzielle Motivation schließen lassen. Die hier angeforderten Angaben lagen dem Versicherer nicht vor, und der Versicherungsnehmer habe die Erfüllung dieser Obliegenheit arglistig verweigert. Damit sei der Versicherer leistungsfrei.
Dieser Perspektivwechsel ist rechtlich von Gewicht. Denn die Kernaussage des OLG lautet: Die inhaltliche Angemessenheit der Fragen bestimmt nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer – solange sie zweckdienlich und rechtlich zulässig sind. Für Versicherungsnehmer ist dies ein deutliches Warnsignal: Wer im Schadensfall unvollständig oder selektiv antwortet, riskiert nicht nur Verzögerungen, sondern unter Umständen den vollständigen Verlust seines Anspruchs.
Der Fall wirft zudem ein Schlaglicht auf die juristische Spannung zwischen Verbraucherschutz und Vertragsautonomie. Auf der einen Seite steht das legitime Interesse des Versicherers, umfassend prüfen zu dürfen; auf der anderen das Bedürfnis des Versicherten, nicht mit endlosen oder schikanösen Fragen überzogen zu werden. Dass das Landgericht und das OLG hier diametral entgegengesetzte Auffassungen vertraten, zeigt, wie offen die Linie in der Praxis noch ist.
Aktuell ist der Fall beim Bundesgerichtshof anhängig – ein Umstand, der über den Einzelfall hinaus Signalwirkung entfalten könnte. Der BGH wird Gelegenheit haben, die Reichweite der Aufklärungsobliegenheiten neu zu justieren und Grenzen zu ziehen, die in der Praxis klare Orientierung bieten. Für Hausratversicherer steht damit ein wichtiges Instrument zur Risikobewertung auf dem Prüfstand, für Versicherungsnehmer eine potenziell einschneidende Pflichtenschärfung.
Die wirtschaftlichen Folgen sind nicht zu unterschätzen: Sollte sich die OLG-Sicht durchsetzen, wird es für Versicherte künftig riskanter, in Schadensfällen auch nur Teile der verlangten Auskünfte zu verweigern. Umgekehrt könnten Versicherer gezielt mit umfassenden Fragekatalogen arbeiten, um ihre Position zu stärken. In einem Szenario, in dem allein die Anzahl der zerstörten Sofas als Indiz für einen ungewöhnlichen Schaden gewertet wird, könnte die Verweigerung einzelner Antworten das gesamte Leistungsversprechen kippen.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht. In diesem Fall ist es das leise, aber deutliche Echo juristischer Konsequenzen, das aus den verkohlten Resten von 17 Sofas aufsteigt – und sich bis in die Grundsatzurteile der höchsten Gerichte ziehen könnte.